Fachtagung über Engagement zur Verhütung von Blindheit in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen – Gastgeber war das Universitätsklinikum Bonn
Etwa 40 Millionen Menschen weltweit sind blind und fast 300 Millionen Menschen stark sehbehindert. In 80 Prozent der Fälle wäre eine Erblindung aber vermeidbar. Augenärztinnen und -ärzte aus aller Welt setzen sich daher für Aufklärung und rechtzeitige Therapie vor Ort ein. Die Ergebnisse dieses Engagements stellte das Deutsche Komitee zur Verhütung von Blindheit (DKVB) Mitte April am UKB vor. Auch das augenheilkundliche Fachpersonal der Augenklinik sowie Parasitologen am UKB setzen sich seit Jahren dafür ein und betreuen Projekte zur wirkungsvollen Eindämmung von Blindheit.
„Circa 90 Prozent der Menschen mit Sehbehinderungen leben in den ärmsten Ländern der Welt. Armut und Unkenntnis sind Hauptgründe der Erblindung“, sagt Dr. David Kupitz, Vorsitzender des DKVB. Bereits als Doktorand der Augenklink am UKB überzeugte er sich 2010 vor Ort in Indien über den Erfolg einer Aufklärungskampagne über Grauen Star, fachsprachlich Katarakt. Betroffene im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu können sich am Sankara Eye Center in Coimbatore kostenfrei operieren lassen. Doch die Barrieren für die arme Landbevölkerung, dieses Angebot anzunehmen, waren und sind hoch. Daher hatte die Augenklinik am UKB im Jahr 2008 dort eine Aufklärungskampagne im Kampf gegen die Blindheit gestartet. Der bis 30. April stellvertretende Klinikdirektor Prof. Dr. Robert Finger leitete das damalige Forschungsprojekt.
Angeregte Diskussion auf einer Informationsveranstaltung zu Glaukom in einer indischen Dorfschule; © privat
Telemedizinisches Augen-Screenings 24-mal in Indien
Auch heute besteht die Kooperation zwischen der Augenklinik am UKB und der Sankara Eye Foundation in Indien, deren Zusammenarbeit sich über die Jahre immer weiter vertieft hat. So hat Privatdozent Dr. Maximilian Wintergerst, Augenarzt am UKB, vor etwa sechs Jahren eines der weltweit ersten etablierten telemedizinischen Smartphone-basierten Screenings diabetischer Retinopathie (DR) in Indien initiiert: „Da mangelhafte finanzielle Ressourcen eine entscheidende Hürde bei der Verbesserung der augenheilkundlichen Versorgung in vielen Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen darstellen, könnten kostengünstige Ansätze wie die Smartphone-basierte Netzhautbildgebung die Versorgungssituation in vielen Ländern verbessern.“ Wintergerst ist bereits des Öfteren in Indien gewesen, um am Sankara Eye Hospital in Bangalore zusammen mit den Kollaborationspartnern vor Ort, die Smartphone-basierte Tele-Ophthalmologie zu etablieren. Dazu trainierte er ophthalmologische Assistenten in der digitalen Netzhautbildgebung mit dem Smartphone und Ophthalmologen in der standarisierten und systematischen Einstufung von DR auf Bildern der Netzhaut. Zusätzlich entwickelten Wintergerst und Kollegen am Sankara Eye Hospital in Kollaboration mit lokalen Informatikern in Bangalore eine eigenständige App die ein noch effizienteres Smartphone-basiertes telemedizinisches DR Screening ermöglicht. Hinzukommt ein Kollaborations-Projekt des UKB mit dem Sankara Eye Hospital und Microsoft Research India zur Verbesserung der Kataraktchirurgie durch Deep Learning-basierte automatisierte Smartphone-Videoanalyse.
Geschulte augenärztliche Hilfskraft (re) nutzt ein umgerüstetes Smartphone als Augenspiegel unter Anleitung von Dr. Maximilian Wintergerst (li)
© Augenklinik / UK Bonn
Bereits in und um die südindische Stadt Bangalore werden heute Diabetespatientinnen und -patienten mit dem Verfahren kostengünstig auf eine Früherkrankung mit DR untersucht. Zudem wird das Projekt auf insgesamt 24 über ganz Indien verteilte Augen-Screening Einheiten der Sankara Eye Foundation ausgeweitet. Die Kollaboration mit der Sanakra Eye Foundation Indien wird durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), die Else Kröner-Fresenius Stiftung (EKFS) und Novartis gefördert. Der Vision, das telemedizinische DR-Screening-Konzept auch auf andere Schwellen- und Entwicklungsländer zu übertragen, ist die Augenklinik am UKB auch einen Schritt näher gekommen. „Durch die einfache Handhabung dieses kostengünstigen Ansatzes besteht über dieses Projekt hinaus Potential für die weltweite Nutzung in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen“, ergänzt Klinikdirektor Prof. Dr. Frank Holz. Darüber hinaus gibt es in Zusammenarbeit mit der University of Calabar in Nigeria, mit der Organization for Rural Communit Development in Bangladesch (gefördert durch das BMZ und die EKFS), sowie mit der University of Cape Coast in Ghana erste weitere Pilotprojekte zur Erlernung der Smartphone-basierten Fundusfotografie durch ärztliches Hilfspersonal.
Antibiotika im Kampf gegen die Flussblindheit
Mehr als 21 Millionen Menschen in Afrika sind mit dem von der blutsaugenden Kriebelmücken übertragenen Fadenwurm Onchocerca volvulus, dem Erreger der Flussblindheit, infiziert. Etwa jeder Zehnte der Betroffenen erblindet. Parasitologen am UKB suchen nach neuen, effektiveren Waffen gegen den heimtückischen Parasiten. Die WHO empfiehlt eine Behandlung aller Personen in betroffenen Gebieten mit dem üblichen Medikament Ivermectin, das die Nachkommen der Würmer abtötet, ohne den erwachsenen Wurm schädigen zu können. So können trotz dieser Therapie relativ rasch wieder neue Generationen von Mikrofilarien entstehen, die für eine weitere Übertragung durch Mücken und für die Krankheitssymptome Sehstörung und Hautentzündung verantwortlich sind. „Es ist wichtig Wirkstoffe zu finden, die die erwachsenen Würmer direkt abtöten“, sagt Prof. Dr. Achim Hörauf. Das Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie (IMMIP) unter seiner Leitung gehört zu den führenden Institutionen in der Entwicklung solcher neuen Therapien.
In einem afrikanischen Dorf gibt Prof. Achim Hörauf Daten zu seinen Studien ein.
© Prof. Dr. Achim Hörauf / IMMIP
Ein Schlüssel könnte eine von Prof. Hörauf entdeckte Symbiose sein. Der Fadenwurm Onchocerca volvulus beherbergt schon seit Millionen von Jahren Bakterien, die er zum Überleben braucht. Sterben diese Bakterien, stirbt früher oder später auch der Parasit. „Antibiotika mit einem speziell auf diese Bakterien ausgerichteten Wirkspektrum sind also eine Chance, eine Übertragung der Flussblindheit dauerhaft zu verhindern“, sagt Prof. Hörauf. Das Antibiotikum Doxycyclin, der von Höraufs Gruppe entdeckte Prototyp eines Wirkstoffes, wird zwar weltweit zur Behandlung der Filarien in Kliniken eingesetzt, ist aber nicht gut für Massenbehandlungen in abgelegenen Gegenden mit schlechter Infrastruktur geeignet. Denn das Antibiotikum muss über einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen täglich eingenommen werden, um seine Wirkung zu entfalten. Daher haben die Bonner Parasitologen im Rahmen einer weltweiten, durch die Gates Foundation geförderten Forschungs-Allianz nach schneller wirkenden Alternativen mit kürzerer Therapiedauer gesucht, die dem Fadenwurm Onchocerca volvulus endgültig den Garaus machen. Die Suche war erfolgreich: aus Screenings von circa einer halben Millionen Wirkstoffen wurden vier Medikamente herausgefiltert, von denen sich drei bereits in der Klinischen Prüfung und ein weiteres kurz davor befinden. Auch bei der klinischen Prüfung sind die Bonner Forschenden in internationalen Konsortien mit von der Partie, von denen zwei von der NGO „Drugs for Neglected Disease Initiative, DNDi“, und eines vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung, DZIF, koordiniert werden. Ein weiteres Netzwerk wird über die europäische Förderungsschiene EDCTP (European Developing Countries Clinical Trial Platform“) gefördert und vom Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie unter Leitung von Prof. Dr. Marc Hübner koordiniert.
Histologischer Schnitt von Onchocerca volvulus, dem Erreger der Flussblindheit, unter dem Mikroskop: Zu sehen sind Querschnitte eines lebenden weiblichen Wurms mit Nachkommen in den Gebärmuttern. Die symbiotischen Bakterien sind stark rot gefärbt; © IMMIP/ UKB
Angst vor Sehverlust ist in Deutschland groß
Aber auch in Deutschland ist die Angst vor Blindheit ein Thema. Fast zehn Millionen Menschen hierzulande leiden an einer potenziell zu Sehverlust führenden Augenerkrankung wie der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD). Laut Prognosen wird die Anzahl mit der Bevölkerungsalterung weiter ansteigen. Um zu verstehen, welche Bedeutung die Menschen in Deutschland einer so weitverbreiteten gesundheitlichen Herausforderung wie der abnehmenden Sehkraft beimessen und welche Faktoren diese Haltung beeinflussen, führte ein UKB-Team unter Leitung von Prof. Finger zusammen mit der Augenklinik der Universitätsmedizin Mainz im Jahr 2022 eine bevölkerungsrepräsentative Befragung durch. „Die Angst vor Erblindung steigt mit fallendem Haushaltseinkommen, sinkender Schulbildung und bei Menschen, die alleine leben. Dies ist unter anderem durch die bei Sehverlust notwendige Unterstützung zu erklären, die dann nicht oder weniger erbracht werden kann“, sagt Prof. Finger. „Als Augenärzte würden wir uns wünschen, dass Sehen, Sehgesundheit und Prävention von Sehverlust mehr auf der gesundheits- und wissenschaftspolitischen Agenda vertreten wäre.“
Bildunterschrift linke Seite:
Menschen, die an afrikanischen Flüssen leben, sind gefährdet, von der Kriebelmücke gestochen zu werden und die Flussblindheit zu bekommen Prof. Dr. Achim Hoerauf / IMMIP