Zwischen Trauer und Hoffnung
In Deutschland warten derzeit mehr als 9.000 Menschen auf ein Spenderorgan. Eine Transplantation ist für sie häufig die letzte Hoffnung. Zahlreiche Patienten warten jedoch vergeblich. Die Warteliste ist lang. Hierzulande kommen elf Spender auf eine Million Einwohner. Im internationalen Vergleich belegt die Bundesrepublik damit einen der hinteren Plätze. Dabei kann eine postmortale Organspende bis zu sieben Menschenleben retten. Vielen Hinterbliebenen gibt dieser Gedanke Halt. Auch Gabi Mödder und Roland Neuhold schöpfen daraus Kraft. Vor fünf Jahren starb ihre Tochter nach einem tragischen Reitunfall.
Immer gut gelaunt und lebensfroh – so beschreiben Gabi Mödder und ihr Lebensgefährte Roland Neuhold ihre Tochter Lena. An einem Sommermorgen wollte sie zusammen mit ihrer besten Freundin ausreiten. Doch Sarah verspätete sich. Als sie Lena schließlich fand, lag die 17-Jährige leblos am Boden. Bis heute ist es nicht klar, was an diesem Morgen passiert ist.
„Lena hatte ein sehr inniges Verhältnis zu ihrem Pferd Balu. Sie ist schon mehrmals vom Pferd gefallen und hat daher gelernt, wie man es richtigmacht. An der Unfallstelle gab es auch keine großen Steine, wo man aufschlagen kann. Doch in Lenas Helm haben wir sogar einen Riss entdeckt“, erzählt die 51-jährige Mutter. Dem Pferd ist damals nichts passiert. Balu kehrte unverletzt zurück zum Stall.
Lenas Organe retteten fünf schwerstkranken Menschen das Leben
Ein Rettungshubschrauber brachte das Mädchen in eine Klinik. „Drei Tage nach der Not-OP stand fest, dass es für Lena keine Hoffnung mehr gibt. Doch dann hatte sie Schluckauf bekommen. Wir dachten, das sei ein gutes Zeichen. Aber auch das ging vorbei“, erinnert sich Gabi Mödder. Am fünften Tag nach dem Unfall wurden die Eltern von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) angesprochen. „Roland und ich haben uns nie mit dem Thema Organspende beschäftigt. Auch Lena war erst 17. In diesem Alter kümmert man sich selten um solche Themen“, sagt Mödder. Lenas älterer Bruder Lucas und ihr Vater haben der Organentnahme unverzüglich zugestimmt. Nach anfänglichem Zögern haben auch die Mutter und ihr Lebensgefährte die Organspende genehmigt. Lena hat sechs Organe gespendet und damit fünf schwerstkranke Menschen gerettet.
Die DSO spielt auch weiterhin eine Rolle im Leben der Familie, die regelmäßig an den Veranstaltungen der Organisation teilnimmt. Die bewegenden Geschichten der Menschen, die ein Spenderorgan bekommen und so überlebt haben, sind für Gabi Mödder und Roland Neuhold ein Hoffnungsschimmer. Sie glauben, dass auf diese Weise etwas von Lena weiterlebt. Zweimal im Jahr fragen sie die DSO an, wie es den Organempfängern geht.
„Und einmal haben wir sogar einen Dankesbrief erhalten. Uns schrieb eine Mutter, die Lenas Leber bekommen hat. Ohne die Leber hätte sie nicht überlebt, berichtete die anonyme Empfängerin. Dank Lenas Spende könne sie nun ein lebenswertes Leben führen“ , freut sich Gabi Mödder.
Organspende ist immer noch ein Tabuthema
Organspende ist immer noch ein gesellschaftliches Tabuthema. Schließlich sollte man sich noch zu Lebzeiten mit dem eigenen Tod beschäftigen, wenn man Spender werden möchte. Grund dafür ist die sogenannte Entscheidungslösung. Diese besagt: Die Entnahme von Organen und Geweben nach dem Tod ist nur zulässig, wenn dem die verstorbene Person zu Lebzeiten oder stellvertretend die Angehörigen zugestimmt haben. „Als Betroffener ist man natürlich direkt für das Thema sensibilisiert. Wenn Menschen erzählen, welches Leben sie als Schwerstkranke vor der Organspende führen mussten, fällt die Entscheidung ganz leicht“, so Lenas Eltern.
Auch fünf Jahre später prägen Hoffnung und Trauer das Leben von Lenas Familie. Es sei, als wäre es gestern gewesen, gibt Gabi Mödder zu. Sie und ihr Lebensgefährte leben jetzt viel ruhiger. Zahlreiche Engelsfiguren und Fotos von Lena schmücken ihr Haus als Andenken an ihre geliebte Tochter. Balu, Lenas Pferd, wird von ihrer besten Freundin umsorgt. Die beiden Mädchen haben sich einmal das Versprechen gegeben: Sollte einer von ihnen etwas zustoßen, soll die andere auf Balu aufpassen. Keiner konnte ahnen, dass dieses Versprechen jemals eingelöst wird.
Die Wunden sind noch sehr frisch, aber das Thema Organspende beschäftigt Gabi Mödder weiterhin sehr: „Durch die Veranstaltungen der DSO haben wir viel erfahren. Vielleicht kommt irgendwann die Zeit, dass ich sagen kann, ich unterstütze die DSO. Doch zuerst muss ich meine Trauer verarbeiten, bevor ich die Trauer, das Verzweifeln, aber auch die Hoffnung der anderen an mich heranlassen kann.“
Mehr als 80 Prozent stehen der Organ- und Gewebespende eher positiv gegenüber, zeigt eine bundesweite Repräsentativbefragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus dem Jahr 2020. Über 60 Prozent haben ihre persönliche Entscheidung für oder gegen eine Organ- und Gewebespende getroffen. Lediglich 44 Prozent haben allerdings ihre Entscheidung schriftlich auf einem Organspendeausweis oder in einer Patientenverfügung dokumentiert. 18 Prozent der Bevölkerung haben eine Entscheidung getroffen, aber diese nicht dokumentiert.