UKB-Arzt untersucht Huntington-Krankheit
Im Alter von 19 Jahren trampte Robert Allen Zimmerman nur mit einem Rucksack und einer Gitarre von Minnesota nach New York. Der junge Mann war getrieben von seiner Bewunderung für Woody Guthrie, die Legende der US-amerikanischen Folkmusik. Schließlich kam es zu einem Treffen der beiden, bei dem Zimmermann die Chance ergriff und Guthrie einige seiner Lieder vorspielte. Es war der Beginn einer bedeutenden Freundschaft, von der die heutige Musikwelt immer noch zehrt, den talentierten Gitarristen aber unter einem anderen Namen kennt: Bob Dylan. Doch während er zum Popstar aufblühte, siechte sein Mentor dahin. Woody Guthrie litt an der seltenen genetischen Huntington-Krankheit, die dem Musiker jahrelang die letzten Kräfte raubte.
Nach dem Tod ihres Vaters engagiert sich Nora Guthrie für die Erforschung der tödlichen Krankheit und unterstützt die Studien am UKB, die PD Dr. Patrick Weydt leitet. 2016 hat der Neurologe u. a. die Huntington-Ambulanz am UKB etabliert und behandelt mit seinem Team etwa 100 Patienten pro Jahr.
„Die Erkrankung ist seit 151 Jahren bekannt. Woody Guthrie wurde 1966 mit der Huntington-Krankheit diagnostiziert, als er bereits in seinen 50ern war. Zu diesem Zeitpunkt war seine Karriere als Musiker bereits in vollem Gange, aber die Krankheit sollte bald sein Leben und seine Musik drastisch verändern“, führt Dr. Weydt aus. Die Krankheit von Guthrie begann mit der Entwicklung von motorischen Problemen, die zunächst subtil waren. Symptome wie unkontrollierbare Bewegungen (Chorea), Gedächtnisverlust, emotionale Instabilität und kognitive Beeinträchtigungen traten auf. In späteren Jahren litt Guthrie unter schweren Bewegungsstörungen und sprachlichen Einschränkungen. Er verlor zunehmend die Fähigkeit, seine Gedanken klar auszudrücken und hatte Schwierigkeiten, sich an einfache Alltagsaktivitäten zu erinnern. „Ein typischer Huntington-Verlauf“, resümiert der UKB-Forscher. „Huntington kann jeden treffen, wenn die Erkrankung in der Familie vorliegt. Wir haben eine Art Stottern, ein so genanntes Repeat im DNA festgestellt. Je länger das Repeat ist, desto schlimmer bricht die Krankheit aus. Und dennoch halte ich Huntington für die heilbarste der unheilbaren Erkrankungen.“
Zu der Zeit, als Guthrie diagnostiziert wurde, war wenig über die Krankheit bekannt, und es gab noch keine wirksame Behandlung oder Heilung. Guthrie verbrachte die letzten Jahre seines Lebens in verschiedenen Pflegeeinrichtungen. Seine Familie, insbesondere seine Frau Marjorie, sorgte sich um ihn, als seine Symptome sich verschlechterten. Schließlich wurde Guthrie in eine spezialisierte Einrichtung eingewiesen, um professionelle Pflege zu erhalten.
In der modernen Forschung hat man bereits versucht, das Huntington-Gen auszuschalten. Der Effekt war jedoch ernüchternd. Dr. Weydt liefert eine musikalische Erklärung: „Das Genom ist eine Art Orchester. Wenn ein Instrument falschspielt, hört man schräge Töne. Bei Huntington wissen wir, dass genau ein Instrument kaputt ist. Daraufhin haben wir versucht, es herauszunehmen in der Hoffnung, dass das Musikstück zwar etwas an Qualität verliert, aber weiterhin gespielt werden kann. Leider ging es unseren Patienten nicht besser. Nun gilt es, den Grund dafür herauszufinden.“
Dr. Weydt ist überzeugt: Das Ausschalten des Gens könnte durchaus der richtige Weg sein. „An den Ergebnissen der Studie sehen wir aber, dass die Heilungsmethode doch komplexer sein müsste. Besser wäre es, das kaputte Instrument im Orchester durch ein intaktes zu ersetzen, aber wir sind noch nicht so weit.“ Für den UKB-Forscher ist es nicht ausreichend, nur das Gehirn zu behandeln. Es bestehe die Möglichkeit, dass bei einer Rettung des Gehirns die Muskulatur dennoch abbauen würde. „Wir müssen die Krankheit als systemisch anerkennen und in den frühen Stadien zuschlagen“, schlussfolgert der Arzt.
Als vielversprechend erachtet er eine Beobachtungsstudie, die bereits seit zehn Jahren läuft und in die das UKB nun aufgenommen wurde. In die „Enroll-HD 2.0“ sind weltweit über 30.000 Patienten eingeschlossen. Dr. Weydt ist im September zum Vorsitzenden des Europäischen Huntington Netzwerks (EHDN) gewählt worden und arbeitet eng mit der CHDI Foundation zusammen, welche die Studie fördert. „Mithilfe der Ergebnisse hoffen wir, eine Grundlage für wirksame Therapien zu schaffen. Mir ist es ein Herzensanliegen, weil ich weiß, dass hinter jedem Fall ganze Familien stehen – kranke Erwachsene möchten, dass zumindest ihren Kindern in Zukunft geholfen wird“, erläutert der Neurologe.
Trotz der Krankheit und ihrer verheerenden Auswirkungen auf sein Leben und seine Musikkarriere blieb Woody Guthrie eine Ikone für eine ganze Generation. „Übrigens, vieles, was wir an Bob Dylan so eigenartig finden, ist könnte die Nachahmung seines Idols mitsamt den Symptomen der Huntington-Krankheit sein“, merkt Dr. Weydt an. Der Woche, als Bob Dylan Woodey Guthrie getroffen hat, wurde nun auch ein Film gewidmet. „A Complete Unknown“ mit Timothee Chalamet kommt Ende Februar ins Kino.