Minimal-invasiver total-endoskopischer Dreifachklappeneingriff am Herzzentrum Bonn
Erkrankungen der vier Herzklappen, die als Ventile den Blutfluss im Körper regulieren, werden aufgrund des enormen medizinischen Fortschritts der letzten Jahre heutzutage nahezu routinemäßig mittels minimal-invasiver Chirurgie behandelt. Sind in einer Kaskade mehrere Herzklappen erkrankt und hochgradig undicht oder verengt, können am Herzzentrum des UKB diese Fehlfunktionen bei vielen der betroffenen Patienten mit einem einzigen minimal-invasiven total-endoskopischen Dreifachklappeneingriff behoben werden. Prof. Dr. Farhad Bakhtiary, Direktor der Herzchirurgie am UKB, ist einer der wenigen Herzchirurgen in Deutschland, der diesen komplexen Eingriff durchführt. Dabei ersetzt er die Aortenklappe in der Regel durch eine biologische Prothese. Die Mitral- und Trikuspidalklappe hingegen rekonstruiert er unter Erhalt der körpereigenen Klappe durch die Implantation von künstlichen Halteringen. Während er die Aortenklappe über die Aorta erreicht, verschafft er sich über die beiden Vorhöfe Zugang zur Mitral- und Trikuspidalklappe. Der für die minimal-invasive OP benötigte Schnitt ist gerade einmal vier bis fünf Zentimeter lang. Zum Vergleich: bei der Eröffnung des Brustbeins, fachsprachlich Sternotomie, einer klassischen Herz-OP ist der Schnitt etwa 15-20 Zentimeter lang.
Prof. Bakhtiary, Sie sind seit über 20 Jahren als Herzchirurg tätig und kommen mittlerweile auf mehr als 8.000 Operationen. Welchen Fortschritt haben Sie in den letzten zwei Jahrzehnten in ihrer medizinischen Disziplin erlebt?
Die Herzchirurgie hat sich gerade in den letzten fünf Jahren rasant entwickelt, viel mehr als in den zehn Jahren zuvor. Anfang der Nullerjahre kam mit dem DaVinci die Roboterchirurgie erstmals auch in der Herzmedizin auf. Rückblickend war diese Technik aber leider zur falschen Zeit am falschen Ort. Denn während das in der Urologie oder in der Abdominalchirurgie gut klappte, war die Herzmedizin damals einfach noch nicht so weit. Und deswegen wurde das – man muss es so sagen – ein echter Fehlschlag, der in der Folge leider zu einer ablehnenden Haltung geführt hat. Zum Glück hat sich die Herzchirurgie davon aber gut erholt und in den letzten fünf Jahren hat es dann den entscheidenden Wandel gegeben: weg von der konventionellen und traumatisierenden hin zur minimal-invasiven Herzchirurgie.
Warum ist die minimal-invasive Herzchirurgie von so großer Bedeutung?
Der größte Vorteil liegt in der Nachhaltigkeit. Ganz einfach formuliert: wir erreichen deutlich bessere OP-Ergebnisse bei gleichzeitig viel geringeren Komplikationsraten. Lange war die die Sternotomie – also das Öffnen des Brustbeins – der Goldstandard bei allen Herzeingriffen. Man öffnet den Brustkorb und kann dann fast alles sehen. Genau an der Stelle ist die MIC-Chirurgie nun eine echte Revolution: Denn obwohl der seitliche Zugang zwischen den Rippen deutlich kleiner ist als bei der klassischen Herzchirurgie, sehe ich dank der 3D-Visualiserung alles viel feiner, schöner und genauer. Das ist eine großartige Entwicklung. Außerdem wird im Sitzen operiert, so dass man entspannter und konzentrierter arbeiten kann. Und wenn Sie so wollen ist diese OP-Methode auch noch deutlich demokratischer, denn durch die Live-Bilder aus dem Herzen haben auch endlich die Assistenten zu jeder Zeit genau dasselbe Sichtfeld wie ich, was bei einer klassischen OP nicht der Fall ist.
Was brauchte es für diese Entwicklung?
Zunächst einmal natürlich die technischen Entwicklungen. Also hochauflösende 3D-Kameras, die endoskopisch in das Herz eingeführt werden können und entsprechendes Bildmaterial liefern. Aber genauso wichtig war das Mindset der Ärztinnen und Ärzte. Wir mussten erstmal unsere Komfortzone verlassen. Etwas vereinfacht ausgedrückt kann man sagen: da wurde hervorragenden Skifahrern gesagt: „Ab jetzt fahrt ihr nicht mehr Ski sondern Snowboard“. Natürlich gibt es dann Startschwierigkeiten und eine Lernkurve. Man konnte gut beobachten, dass die ältere Generation der Herzchirurgen nicht in der Lage war das umzusetzen, während die jüngeren Kolleginnen und Kollegen total begeistert von den neuen Möglichkeiten sind.
Wie viele der Herz-OPs im UKB werden minimal-invasiv durchgeführt?
Seit meinem Start am UKB im Sommer 2021 haben wir die Zahl der MIC-Fälle verdoppelt. Von den jährlich etwa 1.500 Eingriffen sind mittlerweile knapp 500 bis 600 minimal-invasiv. Das ist eine tolle Entwicklung, auf die ich sehr stolz bin. Wir haben regelmäßig Hospitationen aus anderen nationalen und internationalen Kliniken, bei denen wir unser Wissen und unsere Routine weitergeben. Dazu passen auch die beiden Simulatoren, die wir kürzlich angeschafft haben und an denen unsere Fach- und Oberärzte diese Verfahren jetzt absolut realistisch trainieren können.
Herzklappen werden an vielen deutschen Kliniken minimal-invasiv behandelt. In der Regel wird dabei pro Eingriff eine Klappe ersetzt oder repariert. Einige wenige Kliniken bieten auch Doppelklappen-OPs an. Sie treiben diese Entwicklung nun auf ein neues Level, indem Sie schon mehrfach einen minimal-invasiven Dreifach-Klappen-Eingriff durchgeführt haben. In einer einzigen OP ersetzen beziehungsweise reparieren Sie also drei Herzklappen und das minimal-invasiv. Was ist die größte Herausforderung dabei?
Noch vor Kurzem gab es bei kombinierten Herzklappenfehlern eine seitenlange Liste von Kontraindikationen für einen minimal-invasiven Eingriff. Mit unserer Expertise und Routine haben wir diese Liste deutlich verkleinert. Das Entscheidende ist die richtige Strategie. Wann operiert man welche Klappe? Bei welchem Patienten ist welche Reihenfolge die Beste? Was ist der Plan A, was der Plan B und was der Plan C während der Operation? Mit solchen Eingriffen verschieben wir die Grenzen des Machbaren und erreichen gleichzeitig bessere OP-Ergebnisse. Genau deswegen bin ich überzeugt, dass andere Zentren es uns gleichtun werden. Denn warum soll ich einem Patienten mit drei erkrankten Herzklappen drei OPs zumuten, wenn ich alle Klappen unter Umständen auch in einer einzigen OP behandeln kann.
Welchen Nutzen hat die minimal-invasive OP-Technik für die Patienten?
Ganz einfach gesagt: Patienten geht es vor und nach einer MIC-OP viel besser als bei einer konventionellen OP, und das nicht nur physisch sondern auch mental. Wir können die Patienten nach der OP viel schneller mobilisieren, weil wir ihnen durch die schonende OP-Methode viel weniger Traumata zufügen. Hinzu kommt die Psyche: wenn ich weiß, mein Brustkorb wird aufgetrennt, dann habe ich Respekt oder vielleicht sogar Angst vor der OP. Das ist bei MIC-Eingriffen nicht der Fall. Postoperativ fällt das fast noch mehr ins Gewicht. Denn jedes Mal, wenn ich in den Spiegel schaue und eine große Narbe auf meiner Brust sehe, werde ich ja an diese OP erinnert. Das ist bei der minimal-invasiven OP nicht der Fall. Die Patienten behalten den Eingriff also in guter Erinnerung. Und genau das sind wir den Patienten doch schuldig.
Wo geht die Reise in der Herzchirurgie noch hin? Wird es vielleicht einen erneuten Anlauf der OP-Roboter geben?
Für die Eingriffe, über die wir jetzt gesprochen haben, sind Roboter obsolet, denn wir haben die OP-Techniken so miniaturisiert, dass wir aus heutiger Sicht eigentlich keine Roboter benötigen. Was wir hingegen brauchen ist Künstliche Intelligenz, die uns helfen kann, die richtigen Therapien und OPs für die Patienten zu finden. KI kann uns helfen, OP-Techniken zu standardisieren und uns Daten zu liefern, mit denen wir schneller Entscheidungen treffen können. Vielleicht wird es uns mit KI auch gelingen, „OP-Schablonen“ zu entwickeln, mit denen die OP-Techniken der routinierten und innovativen Herzchirurgen für die jüngeren Kolleginnen und Kollegen reproduzierbar gemacht werden können. Genau dieser Wissenstransfer treibt mich um. Als Chefarzt muss ich mein Wissen doch demokratisieren und meine Techniken weitergeben. Ich sehe das als eine meiner ureigenen Aufgaben als Klinikdirektor. Und ich hoffe sehr, dass KI da einen wichtigen Beitrag leisten kann.