Urotherapeutin Evelyn Faber berät am UKB Patienten zu Folgen der Prostatektomie – und wurde nun dafür ausgezeichnet
Autorin: Anna Bolten
Beckenbodentraining für Frauen nach einer Geburt ist vielen geläufig. Es soll die Muskulatur und das Bindegewebe im Becken stärken, die bei der Schwangerschaft und Geburt geschwächt werden. Aber auch bei Männern kann der Beckenboden plötzlich in den Fokus rücken: Er wird zum Beispiel nach der Entfernung der Prostata bei Krebs stark beansprucht. Die Folge können Inkontinenz und Erektionsstörungen sein. Deshalb ist auch für Männer vor und nach der Prostatektomie Schließmuskel- und Beckenbodentraining sinnvoll. Und genau das hat Evelyn Faber, Urotherapeutin und stellvertretende Pflegeleitung der Klinik für Urologie und Kinderurologie, am UKB etabliert. Sie berät Betroffene vor dem Eingriff mit Übungen und gibt Tipps für beckenbodenschonendes Verhalten nach der OP. Für ihre in Deutschland noch seltene Beratung wurde Faber nun von der Deutschen Fachgesellschaft für Urologie (DGU) mit dem Wolfgang-Knipper-Preis ausgezeichnet.
Der Beckenboden setzt sich aus der oft unbemerkten und nicht sichtbaren Muskulatur und dem Bindegewebe in unserem Becken zusammen. Er schließt den Bauchraum von unten ab, stützt damit unsere Bauch- und Beckenorgane und hilft außerdem beim An- und Entspannen der Schließmuskeln von Harnröhre und After. Ob beim Wasserlassen, Stuhlgang, Husten oder Lachen – ständig ist unser Beckenboden in Aktion: Sogar jeder einzelne Atemzug wird von Beckenbodenaktivität begleitet. Besonders stark beansprucht wird die Muskulatur bei Frauen in der Schwangerschaft und bei der vaginalen Geburt. Deshalb wird schwangeren Frauen häufig Beckenbodentraining empfohlen, um die Muskulatur in dieser Zeit besonders zu stärken. Aber auch bei Inkontinenz, Übergewicht oder Operationen im Beckenbereich kann ein solches Training hilfreich sein.
Beckenbodentraining ist auch Männersache
Bei Männern wirkt sich auch die Prostata-Entfernung, die beispielsweise aufgrund von Prostatakarzinomen durchgeführt werden muss, auf den Beckenboden aus. Denn: Ein Teil des Schließmuskels, der innere Harnröhrenschließmuskel, wird durch die Prostatektomie in Mitleidenschaft gezogen. Der äußere Schließmuskel – der zum Beckenboden gehört – muss entsprechend zusätzliche Arbeit leisten, weil der innere nicht mehr richtig funktioniert. So hat jeder Patient nach der Prostata-Entfernung eine mehr oder minder starke Harninkontinenz.
Die gute Nachricht: Beckenbodentraining vor und nach der Prostata-Entfernung kann da Abhilfe schaffen. „Die Harninkontinenz ist durch gezieltes Beckenbodentraining meistens vollständig therapierbar“, versichert Faber. Als jahrelang tätige Krankenschwester, ausgebildete Praxisanleiterin und Heilpraktikerin hat sie im Jahr 2013 noch eine Weiterbildung zur Urotherapeutin gemacht. Seitdem berät Faber am UKB Männer zu Beckenbodenübungen, erklärt die Anatomie dieser besonderen Muskulatur und gibt Tipps, wie die möglichen Folgen nach der Prostatektomie reduziert werden können sowie für beckenbodenschonendes Verhalten nach der OP. Ihre Arbeit beginnt dabei schon vor der Prostata-Entfernung: „Es geht darum, den Patienten im Vorfeld so vorzubereiten, dass er nach der Operation besser mit den Funktionseinschränkungen zurechtkommt.“ Zum Beispiel trainiert sie vor der Prostatektomie mit den Patienten den Schließmuskel. „Sie sollen im Grunde genommen bei allen belastenden Momenten in ihrem Alltag den Schließmuskel aktivieren. Der Vorteil, wenn man das präoperativ macht, ist, dass sie da noch 100 Prozent Kraft einsetzen können. Denn nach der Operation und Entfernung des Harnkatheters soll der Schließmuskel nur mit halber Kraft genutzt werden. Aber halbe Kraft kann ich nur einschätzen, wenn ich mal mit voller Kraft trainiert habe“, erläutert die Urotherapeutin. Zum Beispiel sollen sich die Patienten vor der OP vorstellen, dass sie Wasser lassen und den Harnstrahl unterbrechen. „Dann aktivieren sie den Schließmuskel“, erklärt Faber, die seit 2013 auch stellvertretende Pflegeleitung der Klinik für Urologie und Kinderurologie am UKB ist.
Als Tipps für beckenbodenschonendes Verhalten nach der OP zählt Faber zunächst auf, dass Patienten nicht zu schwer tragen und heben sollten. „Sie sollen sich in den ersten sechs Wochen wirklich körperlich schonen und die Blase regelmäßig entleeren. Auch sollten sie auf regelmäßigen Stuhlgang achten, damit sie nicht pressen müssen.“ Unterstützt werden kann die Verdauung dabei auch mit ballaststoffreichem Essen und Bewegung in Form von Spaziergängen. Außerdem können sich Betroffene zum Beispiel beim Husten und Niesen zur Seite drehen, um den Druck nicht senkrecht nach unten Richtung Beckenboden zu führen. Beim Aufstehen empfiehlt die Urotherapeutin, sich von der Rückenlage erst auf die Seite zu rollen und auf dem untenliegenden Arm abzustützen. Darüber hinaus rät sie zu Hilfsmitteln wie beispielsweise Vorlagen für Männer und wasserdichte Betteinlagen für die erste Zeit nach der Operation.
Neben diesen Ratschlägen klärt Faber auch über die eingeschränkte Erektionsfähigkeit auf, unter der viele Patienten nach der Prostata-Entfernung leiden. Sie entsteht, weil die dafür zuständigen Nerven bei der Operation beansprucht werden. „Selbst wenn die entsprechenden Nerven erhalten bleiben, dauert es sehr lange, manchmal bis eineinhalb Jahre, bis sie sich erholen“, erklärt die Urotherapeutin vom UKB. „Wenn in dieser Zeit keine Erektion auftritt, wandeln sich die Schwellkörper bindegewebig um und sind danach nicht mehr funktionsfähig.“ Mit einem Vakuum-Erektionshilfesystem könne jedoch jeder Schwellkörper erhalten bleiben – ob die Nerven noch da seien oder nicht, versichert Faber.
In diesem Webinar – das kostenlos verfügbar ist – erläutert Evelyn Faber, wie die Urotherapie im Klinikalltag umgesetzt werden kann (ab Minute 29): https://www.uro-tube-pflege.de/webinare/webinare-on-demand/leitlinie-pca-urotherapeutenverband-vs-praxisalltag.
Pionierarbeit am UKB
Die Patienten lernen ihre Übungen und Tipps aber nur kennen, wenn sie auch präoperativ zu Evelyn Faber geschickt werden. „Das ist die Aufgabe des ärztlichen Personals“, sagt die Uroexpertin. Und die Aufgabe klingt leichter, als sie für manche ist: „Die Probleme nach der Prostatektomie sind bekannt, aber dass die Beratung so angenommen wird, das ist schon ein langer Weg. Es ist nicht so leicht, aus der Pflege heraus ein therapeutisches Angebot zu machen“, erzählt die Urotherapeutin. Zusätzlich müssen dann auch noch die Patienten Interesse an Fabers Beratung haben, denn diese ist ein freiwilliges Angebot. „Noch nehmen es nicht so viele Menschen an, wie ich es mir wünschen würde“, gibt sie zu. Das Hauptproblem sei, dass die Beratung nicht von den Krankenkassen übernommen wird.
Obwohl diese so relevant sein kann: Faber hat während ihrer Zeit als Krankenschwester in den 2000er Jahren eine Lücke in der Therapie nach der Prostatektomie gesehen. „Ich fand damals nach 20 Jahren Stationsarbeit, dass diese Patienten tatsächlich ziemlich allein gelassen werden“, sagt sie. „Der Beckenboden war Frauensache. Männliche Patienten hatten keine Ahnung, dass sie überhaupt über einen verfügen. Ich habe damals gesehen, wie sich die Patienten nach der Operation eingenässt haben und darauf hofften, dass die Reha ihnen ausreichend Linderung bringt.“ Im Rahmen ihrer einjährigen, berufsbegleitenden Weiterbildung zur Urotherapeutin in Bremen musste sie ein urotherapeutisches Projekt bis zur Genehmigung durch den Vorgesetzten implementieren – die Beratung und das Beckenbodentraining vor und nach Prostatektomie am UKB wurden ihr Projekt.
„Und seitdem gibt es das. Das ist jetzt elf Jahre her“, berichtet die Urotherapeutin, die bis heute die einzige am UKB mit dieser Weiterbildung ist. Mittlerweile lernt sie ihre Kolleg*innen aber an: „Ich habe eine Kollegin, die schon so viel gelernt hat, dass sie mich vertreten kann und eine zweite möchte ich noch auf einen Lehrgang schicken, um sie zur Inkontinenzmanagerin auszubilden“, erzählt Evelyn Faber. Gerne gibt sie ihr urotherapeutisches Wissen auch weiter: „Wer immer das möchte, kann das bei mir lernen.“ Außerdem entwickelte sich Fabers Projekt schon weiter. So erfolgte im Jahr 2018 in Abstimmung mit den neu etablierten Behandlungspfaden eine Anpassung des Angebots und auch der Flyer, den die Patienten bekommen, wurde überarbeitet.
Wolfgang-Knipper-Preis für Faber
Jetzt hat Evelyn Faber für ihr Projekt von der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) den Wolfgang-Knipper-Preis erhalten. Die mit 3.000 Euro dotierte Auszeichnung bekommen – in Gedenken an den Hamburger Urologen Wolfgang Knipper – Vertreter*innen der Pflege- und Assistenzberufe, die sich in besonderer Weise durch persönliches, soziales oder wissenschaftliches Engagement in der Fort- und Weiterbildung ausgezeichnet haben.
Fabers Projekt ist zwar nicht einzigartig in Deutschland, aber bisher selten. Erst dieses Jahr wurde die urotherapeutische Leitlinie „Urotherapie vor und nach radikaler Prostatektomie bei Prostatakarzinom“ veröffentlicht. „Es gibt in diversen Häusern ähnliche Angebote und durch die Leitlinie werden diese sich vielleicht auch immer mehr ähneln, weil man darin wirklich gute Handlungsempfehlungen hat“, bewertet Faber diese Entwicklung. Jedoch: Für die Umsetzung der Leitlinie sind sehr viele Urotherapeut*innen vorgesehen, die auf der Station und in der Reha zur Verfügung stehen sollen. „Das ist natürlich sehr ambitioniert, denn Bremen bildet als einziger Weiterbildungsort pro Jahr 20 Urotherapeut*innen aus und das seit 2007. Da können wir uns ausrechnen, wie viele Therapeut*innen im deutschsprachigen Raum bisher wirklich diese Ausbildung genossen haben“, gibt Faber zu bedenken. Es gibt zwar weitere, ähnliche Ausbildungen, diese umfassen aber nicht den Umfang der speziellen Urotherapie-Weiterbildung.
In Zukunft möchte Faber ihr Angebot am UKB weiter verbessern. Dafür startet in Kürze eine Studie mit mehreren Patientengruppen, in der auch die Effekte der urotherapeutischen Schulung und Beratung untersucht werden. Evelyn Faber erhofft sich im Anschluss etablieren zu können, dass zumindest die präoperative Schulung zum Beispiel in Kleingruppen allen Patienten angeboten werden kann. „Nach der Operation ist das nochmal etwas anderes, das ist ein bisschen sensibler. Der eine hat vielleicht mehr Probleme mit Inkontinenz, der andere mehr mit Erektionsstörungen, das sind beides schwierige Themen und das will man nicht unbedingt in der Gruppe besprechen“, sagt Faber. „Aber die präoperative Schulung ist ohnehin wichtiger: Der Patient weiß ja dann, an wen er sich nach der OP wenden kann, wenn noch Bedarf besteht.“