Neue Beratungsstelle zur Sensibilisierung und Schutz bei sexualisierter Diskriminierung und Gewalt an der Medizinischen Fakultät Bonn eröffnet
Die Medizinische Fakultät Bonn hat eine neue Beratungsstelle – für Betroffene und Beobachtende von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt sowie alle, die sich über das Thema informieren möchten. Über das neue Beratungsangebot sprach ukbmittendrin mit der Ansprechperson in der Beratungsstelle Dr. Nicola Giglio, Referentin für Hochschulrecht und Antidiskriminierung im Studiendekanat.
ukbmittendrin: Frau Dr. Giglio, warum wurde die Beratungsstelle eingerichtet?
Dr. Nicola Giglio: Sexuelle Diskriminierung, Belästigung und Gewalt sind gesellschaftliche Realitäten – auch im universitären und medizinischen Kontext. Besonders an medizinischen Fakultäten treffen Menschen in Ausbildung auf ausgeprägte Hierarchien, Machtgefälle und teils stark belastende Situationen. Das kann zu Abhängigkeiten und einem Klima führen, in dem grenzverletzendes Verhalten leichter übersehen oder verharmlost wird. Die Beratungsstelle wurde eingerichtet, um hier gezielt entgegenzuwirken: Sie bietet einen geschützten Raum für Betroffene, in dem sie ernst genommen, unterstützt und gestärkt werden – ohne Angst vor Nachteilen.

Bildnachweis: Dr. Nicola Giglio
ukbmittendrin: Was genau leistet die Beratungsstelle – was können Betroffene hier erwarten?
Dr. Nicola Giglio: Die Beratungsstelle ist eine vertrauliche und unabhängige Anlaufstelle für alle, die an der Medizinischen Fakultät lernen oder arbeiten. Betroffene – aber auch Beobachtende oder Ratsuchende – können sich mit ihren Anliegen an uns wenden, ganz gleich, ob es um konkrete Vorfälle, ein ungutes Gefühl oder allgemeine Fragen zum Thema geht. In der Beratung hören wir zu, nehmen ernst, informieren über Handlungsmöglichkeiten und begleiten auf Wunsch weitere Schritte – wie zum Beispiel interne Beschwerdewege, psychosoziale Unterstützung oder den Kontakt zu externen Fachstellen. Alles geschieht ergebnisoffen und freiwillig.
ukbmittendrin: Wer kann sich an die Stelle wenden – und mit welchen Anliegen?
Dr. Nicola Giglio: Die Beratungsstelle steht allen offen, die Teil der Medizinischen Fakultät sind. Die Anliegen können sehr unterschiedlich sein: von einem einzelnen übergriffigen Kommentar bis hin zu wiederholter sexueller Belästigung oder struktureller Diskriminierung. Auch bei Unsicherheit wie ‘War das schon zu viel?’ oder wenn man eine Situation beobachtet hat, kann man sich vertrauensvoll an uns wenden. Kein Anliegen ist zu klein.
ukbmittendrin: Was unterscheidet diese Beratungsstelle von anderen Anlaufstellen wie das Gleichstellungsbüro der Universität oder die Unibeschwerdestelle?
Dr. Nicola Giglio: Unsere Beratungsstelle ist direkt an der Medizinischen Fakultät angesiedelt und damit besonders niedrigschwellig für alle, die in diesem spezifischen Umfeld studieren oder arbeiten. Wir kennen die Strukturen, Rollenbilder, Anforderungen und Herausforderungen im klinischen und medizinischen Alltag – und können daher passgenauer beraten. Im Unterschied zu universitätsweiten Stellen arbeiten wir ortsnah, oft schneller erreichbar und mit einem besonderen Fokus auf den Schutz in Ausbildungssituationen, Praktika oder klinischen Hierarchien. Die enge thematische Spezialisierung auf sexualisierte Diskriminierung und Gewalt stellt sicher, dass wir sensibel und fachlich fundiert unterstützen können.

Bildnachweis: Medizinische Fakultät Bonn
ukbmittendrin: Wie läuft ein Beratungsgespräch ab – und was passiert danach?
Dr. Nicola Giglio: Ein erstes Gespräch dient vor allem dazu, sich einen Überblick zu verschaffen und Vertrauen aufzubauen. Die betroffene Person bestimmt, worüber gesprochen wird, was erzählt wird – und in welchem Tempo. Es geht nicht um Beweise oder Bewertungen, sondern darum, gehört und unterstützt zu werden. Je nach Wunsch überlegen wir gemeinsam, ob weitere Gespräche sinnvoll sind, ob Maßnahmen ergriffen oder weitere Stellen einbezogen werden sollen. Jede Entscheidung liegt bei der betroffenen Person. Unser Ziel ist es, zu entlasten, zu stärken und Orientierung zu geben – nicht, zu drängen oder zu überreden.
ukbmittendrin: Wie wird mit Vertraulichkeit und Schweigepflicht umgegangen?
Dr. Nicola Giglio: Vertraulichkeit ist die Grundlage unserer Arbeit. Alles, was in einem Gespräch gesagt wird, bleibt unter uns – auch gegenüber Vorgesetzten, Kolleg*innen oder Institutionen. Informationen werden nur mit ausdrücklicher Zustimmung der betroffenen Person weitergegeben. Ausnahmen gibt es nur bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdung – also, wenn Leib und Leben unmittelbar in Gefahr sind. Auch dann handeln wir nicht über den Kopf der betroffenen Person hinweg, sondern kommunizieren offen und transparent, was notwendig ist und warum.
ukbmittendrin: Welche strukturellen Veränderungen braucht es aus Ihrer Sicht zusätzlich zur Beratung?
Dr. Nicola Giglio: Beratung ist wichtig – aber nicht genug, um eine Kultur des Schutzes und Respekts zu schaffen. Zusätzlich braucht es klare Regeln und Sanktionen, transparente Verfahren, Schutzkonzepte und vor allem: Sensibilisierung auf allen Ebenen. Das bedeutet Schulungen für Lehrende, Führungskräfte und Studierende, Auseinandersetzung mit Machtstrukturen und eine klare Haltung der Institution gegen jede Form von sexualisierter Gewalt und Diskriminierung. Langfristig geht es darum, eine Kultur des Hinsehens und Handelns zu etablieren, in der Übergriffe nicht toleriert und Betroffene nicht allein gelassen werden.