Der neue Klinikdirektor Prof. Christian Kirschneck setzt moderne Akzente
Prof. Christian Kirschneck leitet neuerdings die Poliklinik für Kieferorthopädie. Sein Ziel ist es, unter Nutzung einer umfassenden personalisierten Diagnostik und künstlicher Intelligenz die für jeden Betroffenen individuell optimale Therapiestrategie bei minimalen Nebenwirkungen und Risiken anzubieten. Darüber und über seine weiteren Steckenpferde sprach der neue Klinikdirektor mit ukb-mittendrin.
Was ist das Spannende für Sie in Ihrem Fach?
Prof. Kirschneck: „Kieferorthopädie ist Prävention, das heißt durch eine rechtzeitige kieferorthopädische Therapie können krankhafte Entwicklungen vermieden werden, bevor diese entstehen. Die Möglichkeit präventiv-therapeutisch tätig sein zu können und damit neben einer Verbesserung der Kaufunktion positive medizinische und psychologische Therapieeffekte auf vielen Ebenen erzielen zu können, ist sehr motivierend. Beispielsweise kann das Risiko eines dentalen Traumas bei einer kieferorthopädischen Korrektur von einem Überbiss stark reduziert werden. Gerade in der heutigen, durch soziale Netzwerke geprägten Zeit werden Kinder und Jugendliche oftmals wegen fehlpositionierter Zähne und ihrem Erscheinungsbild gehänselt und stigmatisiert. Laut Studien hat dies negative Auswirkungen auf die Entwicklung sozialer Kompetenzen im Umgang mit anderen Menschen sowie die eigene emotionale Entwicklung, das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität. Eine frühzeitige Korrektur kieferorthopädischer Anomalien kann in diesen Fällen positive Effekte haben. Darüber hinaus fasziniert mich auch die Vielschichtigkeit der therapeutischen Möglichkeiten für erwachsene Patienten, die mittlerweile sehr individuell unter Berücksichtigung biologischer Gegebenheiten behandelt werden können.“
Welche Schwerpunkte setzen Sie in der kieferorthopädischen Behandlung?
Prof. Kirschneck: „Ein Fokus richte ich auf die personalisierte kieferorthopädische Diagnostik, Therapieplanung und -durchführung sowie deren Digitalisierung im Rahmen eines zertifizierten Qualitätsmanagement-Systems. Dazu gehört die sinnvolle Nutzung von Algorithmen der künstlichen Intelligenz wie 3D-Scans, Planung und digitaler Workflow, automatisierte KI-Diagnostik, 3D-Druck sowie Computer Assisted Design und Computer Assisted Manufacturing, kurz CAD/CAM. Bereits in meiner Regensburger Zeit konnte ich erfolgreich einen klinikinternen digitalen CAD/CAM – Workflow zur computergestützten Herstellung von Zahnkorrekturschienen mittels Intraoralscan der Zahnbögen, virtueller Planung und 3D-Druck einführen. Solche modernen Verfahren werde ich vornehmlich in der Erwachsenenkieferorthopädie wie der in Bonn bereits üblichen Aligner-Therapie kontinuierlich weiterentwickeln. Für eine gesteigerte Versorgungsqualität etablierte ich kürzlich eine ebenfalls digitale Herstellung von passgenauen, oral geklebten Drahtretainern zur Stabilisierung erreichter Zahnstellungskorrekturen. Neue dreidimensionale optische Gesichts- und Intraoralscans zur Diagnostik sollen in Zukunft die Abformung der Zähne und Kiefer komfortabler und die Therapieplanung präziser machen. Zusammen mit Prof. Franz-Josef Kramer, dem Direktor der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, arbeiten wir zudem an einer digitalen Planung und computergestützten Durchführung von kieferorthopädisch-kieferchirurgischer Kombinationstherapien.“
Was sind Ihre wissenschaftlichen Steckenpferde?
Prof. Kirschneck: „Der genetische Hintergrund, also die erblichen Faktoren des Schädelwachstums, der Zahnentwicklung und damit kieferorthopädisch relevanter krankhafter Veränderungen, ist ein Fokus meiner Forschung. Screening-Tests zur Früherkennung von Pathologien oder Reaktionsmustern auf eine kieferorthopädische Behandlung erlauben in Zukunft eine rechtzeitige und individuell auf die Patientinnen und Patienten zugeschnittene Therapie. Ein großer Erfolg war erst kürzlich im Jahr 2023 die erneute Auszeichnung meiner Arbeitsgruppe mit dem Arnold-Biber-Preis der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie für unsere Forschungsergebnisse zur Entstehung einer mandibulären Retrognathie, bei der ein verkürzter Unterkiefer vom Oberkiefer überragt wird. Wir entdeckten potentielle genetische Biomarker für Screening-Tests im Rahmen einer frühen und individualisierten Diagnostik.
Die orale Immunologie ist ein weiteres Steckenpferd von mir. Es geht um die Erforschung, wie durch biologische Mechanismen eine kieferorthopädische Korrektur einer Zahnfehlstellung auf Ebene der Zellen und Gewebe ermöglicht wird. Dies bietet das Potential durch gezielte Modulation der zugrundeliegenden immunologisch-entzündlichen Prozesse in Zukunft neue therapeutisch-präventive Ansätze zu entwickeln – vor allem zur Reduktion einer oft langjährigen Therapiedauer sowie von Nebenwirkungen wie Zahnwurzelresorptionen und Zahnschmelzentkalkungen, therapiebegleitender Spannungsschmerzen und von posttherapeutischen Rezidiven. Wichtige Meilensteine waren hier die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekte zu den Auswirkungen sauerstoffarmer Zustände einer Parodontitis beziehungsweise von Nikotin sowie von Natrium-Ionen im Gewebe im Rahmen kieferorthopädischer Zahnbewegungen. Für meine tierexperimentellen Arbeiten zu den Auswirkungen verschiedener pharmakologisch wirksamer Substanzen auf die Zahnbewegung und unerwünschte Zahnwurzelresorptionen wurde ich 2019 mit dem Millerpreis der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, dem höchstdotierten Wissenschaftspreis der deutschen Zahnheilkunde, ausgezeichnet.
Zudem beleuchte ich die direkte „Mechanotransduktion“, also eine Übertragung mechanischer Kräfte in eine biologische Reaktion für die Zahnbewegung. Modelle aus der Kieferorthopädie zur „Mechanotransduktion“ können auch für wissenschaftliche Fragestellungen aus der allgemeinen Immunologie oder Onkologie interessant sein. Hierzu strebe ich enge Kooperationen in Bonn sowie national und international an. Eine Anbindung an die Bonner Forschungsschwerpunkte ‘Immunosciences and Infection’, ‘Genetics and Epidemiology’ und ‘Oncology’ sowie dem Exzellenzcluster ‘ImmunoSensation2’ eröffnet mir ausgezeichnete Möglichkeiten.“
Ihre Motivation nach Bonn zu kommen?
Prof. Kirschneck: „Die Universität Bonn als Deutschlands erfolgreichste Exzellenzuniversität, die Medizinische Fakultät sowie das UKB haben eine ausgezeichnete nationale und internationale Reputation. Die Schwerpunkte der Medizinischen Fakultät Bonn und die vorhandenen Infrastrukturen, Core-Facilities und Kooperationspartner erlauben mir in idealer Weise meine bisherige Forschung fortzuführen. Das neue studentische Lehrgebäude an der Bonner Zahnklinik bietet hervorragende Voraussetzungen für eine moderne studentische Lehre und Ausbildung. Zudem hat Bonn als ehemalige deutsche Hauptstadt und Beethoven-Stadt ein reiches kulturelles und infrastrukturelles Angebot. Alles zusammen hat meiner Frau und mir die Entscheidung leichtgemacht, aus Regensburg mit unseren beiden kleinen Töchtern nach Bonn zu kommen. Darüber hinaus habe ich Beethovens Mondschein-Sonate bereits bei mehreren universitären Veranstaltungen als Klavier-Solist vorgetragen, etwas das mich in gewisser Weise bereits früh mit Bonn verbunden hat.”