UKB-Chirurgen haben gemeinsam mit Experten aus Deutschland und der Schweiz Handlungsempfehlungen für die Zeit vor, während und nach Operationen von Tumoren im Magen-Darm-Trakt erstellt.
In der neuen AWMF-S3-Leitlinie „Perioperatives Management bei gastrointestinalen Tumoren (POMGAT)“ – erstellt unter Leitung von Viszeralchirurgen des Universitätsklinikum Bonn (UKB) -gibt es 77 Handlungsempfehlungen rund um Operationen von Tumoren des Magen-Darm-Trakts. Diese haben UKB-Viszeralchirurgen und UKB-Anästhesisten zusammen mit über 50 Experten aus Deutschland und der Schweiz erarbeitet – darunter Sachverständige von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) – sowie mit Unterstützung des Leitlinienprogramms Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) sowie der Deutschen Gesellschaft für Koloproktologie (DGK). Ziel des perioperativen Managementkonzepts, das sich aus mehreren Komponenten der prä-, inter- und postoperativen Therapie zusammensetzt, ist es, Komplikationen nach der Operation zu vermeiden, die Immunantwort zu optimieren und die Genesung zu beschleunigen. Die S3-Leitlinie wird aufgrund ihrer Relevanz für die Patientenversorgung von der Deutschen Krebshilfe mit 265.000 Euro gefördert. ukb-mittendrin sprach mit dem Koordinator der Leitlinie Prof. Tim Vilz und der Arbeitsgruppenleiterin Dr. Maria Willis über die S3-Leitlinie:
Was ist Fast Track Chirurgie?
Dr. Willis: Bei Fast Track oder multimodalem Perioperativen Management, kurz mPOM, handelt es sich um ein modernes Behandlungs-Konzept bestehend aus vielen Einzelbausteinen rund um eine Operation herum. Ziel ist eine raschere Genesung der Operierten. Traditionelle Behandlungsabläufe, wie beispielsweise lange Nahrungskarenz, also der vollständige oder teilweise Verzicht auf Nahrungsaufnahme, vor und nach Bauchoperationen haben sich als unwirksam oder sogar schädlich erwiesen. Daher dürfen die Betroffenen bis zwei Stunden vor der OP klare Flüssigkeiten oder gesüßte Getränke wie beispielsweise Apfelsaft trinken. Intraoperativ kommen atraumatische Operationstechniken wie die robotische Chirurgie zum Einsatz. Bei der Schmerztherapie wird weitgehend auf die nebenwirkungsreichen Opioide verzichtet und stattdessen auf regionale Anästhesieverfahren gesetzt. Postoperativ erfolgt die erste Mobilisierung durch das Pflegepersonal noch am Tag der Operation. An den Folgetagen werden die Patienten regelmäßig von Physiotherapeuten mitbetreut, damit sie so schnell wie möglich die eigenständige Mobilität wiedererlangen.
Auch dürfen die Patienten unmittelbar nach der Operation wieder essen und trinken. Zudem werden mPOM Konzepten nur in absoluten Ausnahmefällen Drainagen, zentralvenöse Zugänge und Blasenkatheter verwendet. Mit diesen genesungsfördernden Maßnahmen und weiteren Bausteinen mit positivem Einfluss auf die Genesung können die Komplikationsrate sowie die Krankenhausverweildauer deutlich gesenkt werden. Es gibt sogar erste Untersuchungen, dass sich das Krebs-freie Überleben durch ein multimodales perioperatives Konzept verbessert werden kann.
Gehört auch die sogenannte Prähabilitation zum perioperativen Behandlungskonzept?
Prof. Vilz: Prähabilitation ist aktuell tatsächlich in aller Munde. Es handelt sich hierbei um verschiedene Maßnahmen, die den Zustand einer zu operierenden Person in den Wochen vor dem Eingriff verbessern soll. Hierzu gehören beispielsweise ein individualisierter Trainingsplan für körperliche Aktivität, eine Ernährungsoptimierung, psychologische Begleitung et cetera. Um das Ganze anschaulicher zu machen: Sie können eine OP mit einem Marathonlauf in Bezug auf die Belastung für den Körper vergleichen. Niemand würde bei einem Marathon mitmachen, ohne Training, spezielle Ernährung und wenn es professionell angegangen wird, ohne psychologischen Support. Die Umsetzung der Prähabilitation ist komplex, wir befinden uns gerade in Planungsgesprächen zum Aufbau einer Spezial-Ambulanz am UKB, um das Ganze im ambulanten Setting bestmöglich zu koordinieren.
Trotz Evidenz wird dieses perioperative Behandlungskonzept in Deutschland bisher nur zögerlich umgesetzt. Welche Gründe dafür sehen Sie?
Dr. Willis: Die Gründe sind vielfältig. Chirurginnen und Chirurgen sind beispielsweise sehr traditionell. Früher durfte man eine Woche nach einer Dickdarmoperation nichts essen. Denn fälschlicherweise wurde davon ausgegangen, das sei besser für die Heilung der Darmnähte. Neuere Untersuchungen hingegen zeigen, dass durch den Nahrungsverzicht das Risiko für Infektionen ansteigt.
Ein weiteres Beispiel für das Festhalten an traditionellen Behandlungsstrategien ist die Verwendung von Drainagen. Ihr Einsatz im Bauchraum beruht auf einem falschen Sicherheitsdenken, dass sie eine bessere Kontrolle böten. Dies ist jedoch nicht der Fall, stattdessen sind sie teuer, verzögern die Rückkehr zur Eigenständigkeit und können ihrerseits Komplikationen verursachen.
Zudem erfordert das Konzept eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Das Miteinander zwischen Anästhesie und Chirurgie als wichtige Partner im perioperativen Setting muss perfekt stimmen. Dies ist zum Glück am UKB der Fall. So waren Professor Coburn und Professor Söhle beispielsweise bei der Ausarbeitung der Leitlinie beteiligt. Und auch im Alltag funktioniert das Miteinander hervorragend: Wir legen die perioperative Behandlung gemeinsam fest und können so das Beste für unsere Patienten erreichen. Aber auch interprofessionell ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Pflege, Physiotherapie und Ökotrophologie notwendig. Sie sehen also, das innerhalb kurzer Zeit viele Disziplinen auf die zu behandelnden Personen einwirken. Hier ist eine gute Struktur und Koordination notwendig. Hilfestellungen liefern hier aber beispielsweise speziell ausgebildete Pflegekräfte oder Medizinische Fachangestellte, die das interdisziplinäre und interprofessionelle Arbeiten koordinieren und als Bindeglied zwischen allen Beteiligten fungieren.
Darüber hinaus erfordert die Implementierung einen gewissen logistischen Aufwand, bei gleichzeitiger Personalknappheit. Dies führt dann oft zu einer Ablehnung durch alle Beteiligten. Tatsächlich ist der Aufwand aber nur in der Anfangszeit hoch: Wenn das Fast Track Konzept einmal implementiert ist, wird beispielsweise der pflegerische Aufwand deutlich geringer: So müssen keine Katheter, Drainagen oder ähnliches versorgt werden. Weiterhin sind die Operierten ab dem ersten oder zweiten Tag nach dem Eingriff selbstständig mobil und können sich eigenständig versorgen. Weiterhin sinkt die Komplikationsrate nachweislich. Das wiederrum senkt den Arbeitsaufwand und spart Ressourcen ein.