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Dunkel Hell

Der Plastische Chirurg Jan Wynands operierte Explosionstraumata im European Gaza Hospital in Rafah

Kürzlich kehrte Dr. Jan Wynands von einem plastisch-chirurgischen Einsatz im Gaza zurück. Der 44-jährige Leiter der Arbeitsgruppe „Global Surgery“ der Sektion Global Health (Prof. Walter Bruchhausen) ist auch am Bonn Surgical Technology Center BOSTER (Prof. Jörg C. Kalff) tätig. Kürzlich operierte der plastische Chirurg drei Wochen täglich Menschen mit Explosionsverletzungen. Er war dort für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) tätig und sein Einsatz wurde vom UKB unterstützt. Über seine Eindrücke sprach Dr. Jan Wynands mit der ukb-mittendrin:

Dr. Wynands, wie lange dauerte Ihr Einsatz und gab es organisatorische Probleme?

Jan Wynands: „Nach monatelanger Planung des Einsatzes in Rafah war ich insgesamt einen Monat im Ausland, davon aber nur drei Wochen selber im Feld. Denn es ist nicht so einfach von Ägypten nach Gaza zu kommen. Die Sicherheitsvorkehrungen sorgten für eine verzögerte Anreise und ich brauchte fast drei Tage, um von Ägypten aus nach Gaza zu gelangen. Da gibt es Checkpoints und ich konnte erst mit grünem Licht der Behörden einreisen.“

Drei Wochen operierte Jan Wynands mit seinen dortigen Kollegen Explosionstraumata in einem Krankenhaus in Rafa. Foto: IKRK

Wo genau waren Sie im Gazastreifen tätig?

Jan Wynands: „Ich war für das IKRK in einem der letzten verbliebenen Krankenhäuser in diesem Gebiet, dem European Gaza Hospital (EGH) in Rafah, tätig. Das IKRK ist eine humanitäre, weltweite Organisation, welche als eine der ersten vor Ort half. Da kommen Patienten – davon 90 Prozent mit einem Explosionstraumata – aus ganz Gaza hin. Unter der neutralen, unabhängigen und unparteilichen Flagge der IKRK suchen aber auch viele Menschen, die keine Patienten sind, eine Zuflucht. Während meines Einsatzes waren es viele Tausende Menschen und der Krankenhaus-Campusglich eher einem Flüchtlingslager. Das EGH hat eine hochwertige Infrastruktur und sechs gut ausgestattete OP-Säle und ich konnte den OP-Saal der Kardiochirurgie nutzen. Die örtlichen Ärzte und Fachkräfte halten die Klinik am Laufen. Vor Ort sind aber auch medizinische gut ausgebildete arabisch-stämmige Menschen aus den USA und dem Vereinigten Königreich UK. Das EGH wird größtenteils von internationalen Organisationen wie dem IKRK unterstützt.“

Wie sah Ihr Alltag während des Einsatzes aus?

Jan Wynands: „Es gab an einem Tag etwa 12 Operationen im Durchschnitt. Täglich habe ich von 9 bis 21 Uhr gearbeitet. Mein Schlafplatz war eine Schaumstoffmatratze auf dem Boden der Schwesternschule. Da die Fensternähe ein Risiko birgt, haben wir aus Sicherheitsgründen nicht in den Zimmern, sondern zu je acht Personen auf zwei Fluren geschlafen. Ich wurde immer wieder von Einschlägen geweckt, die einem Donner bei Gewitter gleichen. Während der lauten Nächte bebte ab und zu das ganze Gebäude aufgrund der Druckwelle verschiedener Detonationen. Unsere Verpflegung war bescheiden und bestand aus Nudelsuppe und Büchsen-Thunfisch, ab und an bereichert durch eine Aubergine oder Zitrone vom Markt.“

Was haben Sie als Plastischer Chirurg operiert?

Jan Wynands: „Vorwiegend haben wir Erwachsene mit Verletzungen von Weichteilen, und Knochen operiert. Bei manchen Verletzten ist eine Versorgung nicht mehr möglich. Anderen Patienten wiederum, kann man auch unter einfachen Bedingungen mit rekonstruktiv-chirurgischen Techniken helfen und vor Verstümmelung und Behinderung bewahren.“

Wie kamen Sie emotional als Arzt durch den Einsatz?

Jan Wynands: „Als Chirurg kann ich mich voll und ganz darauf fokussieren, mit der Operation das Beste für den Patienten herauszuholen. Natürlich sieht man die Welt aber auch mit anderen Augen, als Mensch, als Vater – ins besondere wenn Kinder verletzt sind. Da gab es beispielsweise einen siebenjährigen Jungen, dem in der Neujahrsnacht von einem Granatsplitter der Kopf durchbohrt wurde. Er zerriss das rechte Auge, durchtrennte den Sehnerv des linken Auges und blieb in der Kieferhöhle stecken. Auch die Sehkraft seines linken Auges war nicht mehr zu retten. Überhaupt war es ein Wunder, dass das Gehirn nicht verletzt wurde. Er und sein Vater, der ihn auf einem Eselskarren aus dem nördlichen Gaza nach Rafah brachte, überlebten als einzige der zehnköpfigen Familie.“

Vater bringt seinen verletzten Sohn auf einen Eselskarren ins EGH in Rafah. Foto: Privat

Gibt es auf der anderen Seite auch positive Erfahrungen?

Jan Wynands: „Mein Kollege und ich fanden in der Notaufnahme ein zweijähriges Mädchen mit einer Ablederungsverletzung am Schädel auf der linken Seite und einer ausgeprägten Zerreißung der rechten Gesichtshälfte sowie einer Fraktur des Unterkiefers. Im täglichen Chaos konnten wir es nach einem CT in den OP-Saal bringen. Dort war ich mit dem weinenden Kind erst einmal allein und habe es wie meinen eigenen vierjährigen Sohn getröstet. Das war sehr intensiv in dem ganzen Trubel und eine positive Erfahrung – umso schöner, da alles nach der Operation gut abheilte.

Zudem habe ich trotz des Grauens viel Menschlichkeit erlebt. Da war eine starke Fürsorge für den anderen und Freundlichkeit. Jeder hat seine traurige Geschichte und trotz Düsternis ist Zeit zum Lachen da. Ein Pfleger lächelte immer sofort, wenn er mich sah. Es ist wahnsinnig bewegend und eindrucksstark auch menschliche Nähe zu spüren.“

Jan Wynands konnte einem am Kopf verletzten Mädchen mit einer Operation helfen. Foto: Privat

Was ist Ihre Motivation?

Jan Wynands: „Gerne gebe ich die geschenkte Menschlichkeit zurück, welche man dort empfindet und die viel mehr wert ist als jeder Schnitt, den ich als Chirurg tätige. Als Gründer des Vereins ANDO-modular aid, welcher in Subsahara Afrika die medizinische Infrastruktur verbessert sowie als Plastischer Chirurg und Kriegschirurg – meistens unterwegs für das IKRK und Ärzte ohne Grenzen – ist mein Ziel, Menschen vor Behinderung zu bewahren. Dafür möchte ich mein Wissen weitergeben und bin daher immer auf der Suche nach besonderen Menschen. Mit Dr. Haytham Abu Sulttan habe ich auch einen in Rafah gefunden. Der 30-jährige Chirurg floh selbst und fand Zuflucht im EGH. Dort operiert er bereits seit mehr als 150 Tage durchgängig. Ihm konnte ich vor Ort die Grundtechniken der Plastischen Chirurgie beibringen. Das ist mir eine Freude und dieser Aspekt ist mir wichtig.

Zudem sehe ich einen zukünftigen Brückenschluss über das Bonn Surgical Technology Center – kurz BOSTER – des UKB, um mit neuen Technologien die Versorgung von Patienten mit komplexen Verletzungen unter einfachen Bedingungen und beschränkten Ressourcen zu verbessern. Mit BOSTER erforschen und entwickeln wir Methoden aus den Bereichen der virtuellen Realität (VR) und künstlicher Intelligenz (KI), die beispielsweise die präoperative Behandlungsplanung optimieren soll. Diese Techniken entgegen der üblichen Ausbreitung von Technologie vor allem in Low-resource-Szenarien einzusetzen ist eine große Motivation für mich.“

Bild links: Der Plastische Chirurg Jan Wynands operierte Menschen mit Verletzungen in einem Krankenhaus in Rafah. Foto: IKRK

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