Prototyp-Chatbot „PROtobot“ für die Telemedizin erhält eine Förderung der Universität Bonn
Autorin: Anna Bolten
Ein Chatbot, der freundlich mit Patient*innen spricht und dabei die Symptome, Verhaltensweisen und auch ihren Schweregrad dokumentiert? Das könnte in Zukunft Realität sein. Denn: Ein Forschungsteam um Projektleiter Dr. Jan Henrik Terheyden von der Augenklinik am UKB hat für die Telemedizin einen Prototyp eines solchen Chatbots entwickelt. Der „PROtobot“ soll herkömmliche Patient*innen-Fragebögen ablösen und über die Dauer einer Therapie hinweg präzise medizinische Informationen liefern. Für die Weiterentwicklung ihrer Innovation werden Terheyden und sein Team nun mit dem Prototypisierungsgrant der Universität Bonn gefördert.
Bei aktuell 625 Millionen Arztbesuchen pro Jahr wächst der Bedarf an medizinischer Versorgung in Deutschland dramatisch. Die Zunahme chronischer Erkrankungen und gleichzeitige Abnahme der Anzahl an Kassenärzt*innen verschärfen die Situation. Telemedizinische Verfahren wie die Fernüberwachung können das Gesundheitssystem insbesondere zur Versorgung bei chronischen Erkrankungen und der Nachsorge nach Operationen zukünftig erheblich entlasten. „Telemedizin hat das Potenzial, die medizinische Versorgung und damit auf Dauer auch die Gesundheitsergebnisse für die Patient*innen zu verbessern“, sagt Dr. Jan Henrik Terheyden, Facharzt für Augenheilkunde und Leiter des Projekts an der Augenklinik des UKB.
Für die Telemedizin ist neben einer Untersuchung auch eine Befragung der Patient*innen nötig, etwa über individuelle Symptome und Verhaltensweisen. Denn die Anamnese ist eine der Grundsäulen medizinischer Entscheidungen. Das Problem: Es mangelt noch an zuverlässigen Befragungssystemen, die genau das ausreichend abbilden. Bisher werden diese Informationen in der Telemedizin nämlich häufig nur durch Fragebögen eingeholt. „Im Falle von Augenerkrankungen müssen die Patient*innen darin zum Beispiel angeben, wie stark ihre Sehschwierigkeiten beim Lesen oder Autofahren oder beim Erkennen von Kontrasten sind“, erklärt Dr. Terheyden. Doch: Sie sind durch ihr starres Format auf Papier und mit ihren teilweise über 50 Fragen nicht sehr anwenderfreundlich und nicht personalisiert, sodass wichtige Gesundheitsinformationen über Fragebögen häufig nicht erfasst werden. Eine neue KI-basierte Technologie könnte zukünftig vor allem in der Telemedizin Abhilfe schaffen – und als erste ihrer Art sogar die Schwere von Symptomen feststellen.
Deep talk mit dem Chatbot
Diese Technologie ist ein Chatbot, mit dem Patient*innen in einem empathischen Gespräch über ihre Beschwerden befragt werden. Der sogenannte „PROtobot“ soll so herkömmliche Patient*innen-Fragebögen, die patient-reported outcomes (PROs), ablösen und präzise Informationen zu Symptomen und Verhaltensweisen sowie sogar deren Schweregrad an das medizinische Personal liefern. Letzteres schafft er, indem er empathisch auf Antworten der Patient*innen reagiert und etwa abfragt, wie stark ein Symptom ausgeprägt ist und sich nach Beispielen für Einschränkungen im Alltag erkundigt. Insbesondere das hebt ihn von bisher eingesetzten Apps ab, die meist einfach digitale Version bisheriger Fragebögen darstellen.
Bildunterschrift: Statt Fragebögen auf Papier auszufüllen, sollen Patient*innen in Zukunft bequem von zu Hause aus mit einem Chatbot über ihre Symptome während der Therapie sprechen können, planen Forschende um Dr. Jan Henrik Terheyden.
Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn / Anna Bolten
Noch handelt es sich bei dem neuen Chatbot „PROtobot“ um einen Prototyp, doch von seiner zukünftigen Anwendung versprechen sich die Forschenden eine große Hilfe: „Durch PROtobot machen wir die Erfassung von Befragungsdaten im Gesundheitswesen nicht nur einfacher, sondern gestalten diese auch individueller“, erklärt Terheyden: „Mit der breiteren Verfügbarkeit von Befragungsdaten und einer Gradmessung subjektiv berichteter Daten legen wir die Grundlage einer stärkeren Fokussierung der Medizin auf Patient*innen.“
Chatbot soll Therapieabbrüche verhindern
Der Chatbot soll dabei aber nicht bei Erstdiagnose und Screening, sondern vor allem dann zum Einsatz kommen, wenn Patient*innen schon in Behandlung sind: Haben sie nämlich ihre Diagnose und müssen zum Beispiel selbstständig zu Hause ihre verschriebenen Medikamente nehmen, lassen sie die Behandlung nicht immer weiter medizinisch kontrollieren – oder springen sogar von der Therapie ab. Das Problem: Wenn Menschen beispielsweise an einer diabetischen Augenerkrankung leiden, kann eine abgebrochene Therapie schlimmstenfalls zur Erblindung führen. „Wir möchten uns die Informationen der Patient*innen zu einem Zeitpunkt holen, zu dem sie nicht direkt im Gesundheitswesen, also an Ärzt*innen, das Pflegepersonal oder Therapeut*innen, angebunden sind. Das ist häufig der Zeitpunkt, an dem wir Patient*innen verlieren“, erklärt Dr. Terheyden. Der Chatbot soll aber nicht nur die Therapieabbrüche verringern: Ärzt*innen können damit zukünftig auch feststellen, ob die Symptome wie erhofft gelindert werden und welche Nebenwirkungen eventuell auftreten, sodass sie die gewählte Therapie entsprechend anpassen können. So werden Patient*innen also über Jahre medizinisch begleitet.
Bildunterschrift: Das Team um Dr. Jan Henrik Terheyden: (v.l. Dr. Jan H. Terheyden, Maren Pielka, Prof. Dr. Rafet Sifa, Tobias Schneider).
„Dass wir hierfür Chatbots einsetzen, mag zunächst sehr technisiert klingen, birgt jedoch ein enormes Potenzial für eine freundlichere Gestaltung von Patient*innenbefragungen“, ergänzt Terheyden. Der Chatbot funktioniert nämlich über eine individualisierte, personenfreundliche Befragung auf Basis eines großen Sprachmodells. Über maschinelles Lernen kann der Chatbot die Antworten der Befragten immer besser interpretieren. Validiert werden soll er, indem zunächst die Lebensqualität von Menschen mit Augenerkrankungen gemessen wird – sodass er nach erfolgreicher Überprüfung auch in anderen Bereiche angewendet werden kann. Gemeinsam mit Forschenden um Prof. Dr. Rafet Sifa, Maren Pielka und Tobias Schneider vom Bonn-Aachen International Center for Information Technology (b-it) und dem Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) sowie Mitarbeitenden der von Prof. Dr. Frank Holz geleiteten Augenklinik, entwickelt Terheyden die innovative Software vor allem für den Einsatz in der telemedizinischen Versorgung.
Förderung über das Transfer Center
Für ihren „PROtobot“ erhält das Forschungsteam um Terheyden nun einen Prototypisierungsgrant der Universität Bonn. Diese bis zu 50.000 Euro hohe Förderung soll innovative Gründungsideen unterstützen und ihre Entwicklung in Richtung Markfähigkeit sicherstellen. Ausgeschrieben wird die Förderung vom Transfer Center enaCom.
Mithilfe dieser wollen die Forschenden ihren Chatbot nach der Prototypisierung vor allem in zwei Bereichen weiterentwickeln: Der „PROtobot“ soll einerseits Symptome überwachen und verändertes Gesundheitsverhalten von Patient*innen dokumentieren. Andererseits soll er zukünftig für die diabetische Netzhauterkrankung eingesetzt werden, um die dauerhafte Behandlung hier zu verbessern. Der Prototypisierungsgrant ermöglicht dabei den Aufbau des „PROtobots“ und seine Validierung: „Im ersten Schritt werden nun große Mengen an Textdaten aus einer Online-Kohorte von Menschen mit und ohne Sehbeeinträchtigungen gesammelt“, kündigt Terheyden an. „Im Anschluss wollen wir uns näher mit der Sicherheitsarchitektur unserer KI beschäftigen, die vor der klinischen Anwendung natürlich gewährleistet werden muss.“
Neue Anträge für eine weitere Ausschreibungsrunde des Prototypisierungsgrant können bis zum 31.12.2024 eingereicht werden. Mehr Informationen finden Sie hier: https://www.uni-bonn.de/de/forschung-lehre/transfercenter-enacom/foerdermoeglichkeiten/prototypisierungsgrants.