Prof. Wolfgang Holzgreve im Interview mit Elke Dagmar Schneider
An welcher Stelle in den Rankings steht das Universitätsklinikum Bonn in NRW?
Bei Beurteilungen von Leistungen sollte man nicht auf Selbstwahrnehmung, sondern auf neutrale Instanzen setzen, daraus ergibt sich ein gewisser natürlicher Wettbewerb um die Qualität. Unsere Aufgaben betreffen gleichzeitig Forschung, Lehre und Krankenversorgung.
In der Forschung gibt es anerkannte Kriterien, insbesondere die Auswertungen von Zitierungen der wissenschaftlichen Publikationen und deren Impact in der Welt, aber auch die Drittmittel-Einwerbungen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, vom Bundesministerium für Forschung und Technologie, der EU etc. wird bewertet. Wir haben sechs gute Uniklinika in NRW, und glücklicherweise steht Bonn im Ranking mit seinen Forschungsleistungen seit mehreren Jahren auf dem ersten Platz. Die Qualität der Krankenversorgung ist schwieriger zu beurteilen, auch für die Patienten. Man kann aber die Reputation einer Klinik z. B. bei der Ärzteschaft in Kliniken und Praxen erfragen, wie das die Wochenzeitschrift Focus tut. Da wir auch bei dieser Klinikliste auf Platz 1 in NRW stehen und
beim durchschnittlichen Fall-Schweregrad (CMI) sogar die dritthöchste Position in Deutschland haben, ist wohl auch die Krankenversorgung im UKB auf bestem Niveau, übrigens auch im internationalen Vergleich.
Wie sieht die Jahresbilanz der UKB Bonn im Verhältnis zu anderen Unikliniken aus?
Das UKB hat eine Bilanzsumme von etwa 1,5 Mrd. Euro pro Jahr. Auf der Erlösseite erhalten wir einen Zuschuss vom Land für Forschung und Lehre. Aus diesem Etat wird die gesamte Lehre bezahlt sowie z. B. die Professuren. Die viel größere Summe für die Krankenversorgung muss jeden Tag verdient werden, wobei in Deutschland die Vergütung für stationäre Behandlungen nach dem sog. DRG erfolgt, d. h. alle Krankenhäuser, von den kleinsten bis zu den größten, erhalten dieselben Vergütungen für die jeweiligen Leistungen, und es gibt bisher keine Vergütung für die besonders hohen Vorhaltekosten der
knapp 38 Universitätsklinika in Deutschland. Wir sind am UKB bei allen Aufgaben immer besonders belastet. So haben wir z. B. über 3.000 Patient*innen mit Covid-19 stationär behandelt und 170 Verletzte der Flutkatastrophe im Ahrtal. Wir betreuen ca. 50.000 Patienten pro Jahr stationär, und ca. 400.000 Patienten ambulant mit Wachstumsraten von etwa 5 Prozent pro Jahr. Unter den sechs Unikliniken in NRW besetzen wir bei der wirtschaftlichen Auskömmlichkeit die Spitzenposition.
Wir versuchen auf politischer Ebene gerade mit unserem Verband der Universitätsklinika Deuschland (VUD) für diese Vorhaltekosten, welche die Universitätsklinika bereitstellen müssen, eine gesonderte Vergütung zu erhalten. Die Mehrzahl der Universitätsklinika in Deutschland hat große Defizite, und dieses strukturelle Defizit hängt eben wesentlich mit den vielen Sonderaufgaben zusammen, die wir bewältigen müssen. Das UKB z. B. betreut pro Jahr alleine 40.000 Patienten im Notfallzentrum. In diesem schlecht vergüteten Teil der medizinischen Versorgung, wo die Vorhaltekosten besonders hoch sind, sind die Wachstumsraten am stärksten.
Wie ist es mit dem Trend zur Ambulantisierung bei medizinischen Leistungen?
Immer mehr Behandlungen können ambulant durchgeführt werden, für die früher stationäre Aufenthalte erforderlich waren. Einige Nachbarländer sind uns in diesem Punkt voraus. So werden z. B. Leistenhernien-Operationen in Deutschland zu 99 Prozent stationär durchgeführt und in Dänemark nur zu 17 Prozent. Solche Veränderungen sollten jetzt kommen, um das erhaltenswerte System, das wir in Deutschland haben, weiter zu verbessern. Die medizinische Versorgung in Deutschland ist internationalen Vergleich gut, da die Wege zu ärztlichen Betreuungen und die Wartezeiten kurz sind.
Sie hatten Anfang des Jahres 140 Pflegekräfte, die streikten. Wo lag bei Ihnen die Belastungsgrenze?
Dieser Streik, zu dem die Gewerkschaft Verdi aufgerufen hatte, betraf alle sechs Universitätsklinika in NRW, obwohl der Verhandlungspartner für Verdi die bundesweit aufgestellte Tarifgemeinschaft der Länder gewesen wäre, diese aber eine Tarifverhandlung abgelehnte. Üblicherweise geht es bei Streiks um Lohnerhöhungen. Die Tarifverhandlungen
waren aber gerade zum Ende des vorausgegangenen Jahres erfolgreich abgeschlossen worden. Wegen der nach einem solchen Tarifabschluss einsetzenden sog. “Friedenspflicht” konnte der Streik nur ein anders Ziel als die Lohnerhöhung beinhalten, und so wurden dann Forderungen nach Entlastung der Pflegenden von Verdi vorgetragen. Das UKB verfolgt das Ziel der Entlastung schon lange und hat in den letzten Jahren ca. hundert Pflegende/Jahr mehr eingestellt. Aus 1.060 Vollkräften in der Pflege in 2016 sind 1.461 Vollkräfte in 2021 geworden. Trotzdem haben wir auch gelegentlich die Situation, dass wir bestimmte Betten nicht betreiben können und OP-Säle schließen müssen, weil nicht genug Personal da ist. Es muss eine große Anstrengung erfolgen, diesen Beruf attraktiv zu gestalten. So haben wir am UKB das Angebot der Weiter-Qualifikationen innerhalb des Berufes, KiTa-Plätze, Mobilitätsangebot, Hilfe bei Wohnungsbeschaffung, einen Trimm-Pfad und die kostenlose Nutzung unseres Fitnessstudios. Wir beteiligen uns an den Kosten für das Großkunden-Ticket etc.
Es handelt sich beim Pflegeberuf um einen spannenden Beruf, es ist ein sozialer Beruf, bei dem man viel Dankbarkeit von den Patienten zurückbekommt. Ich glaube, es ist ein Problem in Deutschland, dass dieser Beruf zu oft schlecht geredet worden ist.
Hat der Streik zu irgendwelchen Ergebnissen geführt?
Am allermeisten leiden natürlich die Patienten, wenn es streikbedingte Wartelisten gibt. Jetzt muss sich zeigen, ob die Annahmeder Gewerkschaft stimmt, dass durch den Tarifvertrag Entlastung hoffentlich viele in den Beruf zurückkommen oder neu rekrutiert werden können. Wir bemühen uns seit Jahren mit großem Erfolg, die eigene Ausbildung zu intensivieren, indem wir z. B. ein neues Bildungszentrum gebaut haben, in dem modern und interdisziplinär ausgebildet werden kann. Ebenfalls rekrutieren wir mit viel Engagement Pflegekräfte aus dem Ausland.
Die Verkehrssituation zur UKB ist nach wie vor angespannt. Wie sieht die derzeitige Situation aus?
Die UKB hat die einzigartige Lage auf dem Venusberg, umgeben von dem wunderbaren Kottenforst. Nach dem Krieg war hier oben eine Kaserne frei und man war froh, ein ausreichend großes Gelände zu haben, das die notwendige Expansion ermöglichte. Der einzige Nachteil ist, dass nur eine einspurige Straße zum Venusberg heraufführt. Dieser
Punkt ist heikel, da über 400.000 Patienten jedes Jahr die Kliniken aufsuchen und noch mehr Besucher sowie knapp 9.000 Mitarbeitende. Es versteht sich von selbst, dass eine einspurige Straße das nicht leisten kann. Alternativen wie die Verbreiterung der
Straßen, eine neue Trasse, sogar ein Tunnel etc. wurden sorgfältig geprüft, mussten aber alle aus unterschiedlichen Gründen (z. B. wegen Flora, Fauna-, Habitat-Restriktionen, langwieriger Bundesanträge etc.) verworfen werden. Es wurde daher eine Machbarkeitsstudie für die Steilbahn durchgeführt, die bei einer konservativen Schätzung eine signifikante Entlastung der Straßen zum UKB von 19 Prozent ermittelt hat. Dadurch könnte der Verkehrsinfarkt auf dem Wege zum UKB verhindert werden. Das Besondere an einem Universitätsklinikum ist, dass wir nicht für die Mehrzahl unserer Mitarbeitenden Gleitzeit anbieten können. Unsere Schichten sind da ganz genau vordefiniert, das bedeutet, dass es z. B. Stoßzeiten gibt. Deswegen muss für die Verkehrssituation eine Lösung gefunden werden, und zwar bald.
Wir unterstützen den ÖPNV nachhaltig, arbeiten mit den Stadtwerken zusammen und haben gemeinsam effektive Bustakte ausgearbeitet, fördern Car- Sharing mit einer innovativen App etc. Wir haben einen vergleichsweise hohen Anteil an Fahrradfahrern (17 Prozent), aber um zukünftigen Anforderungen im Verkehrsbereich gerecht werden zu können, wäre eine Seilbahn für die Situationsbereinigung in Bonn am naheliegendsten. Diese käme der gesamten Bevölkerung zugute. Ein wichtiger Haltepunkt der Seilbahn ist die Haltestelle UN-Campus hinter der Bundeskunsthalle. Viele unserer Mitarbeitenden und Patienten kommen z. B. aus dem südlichen Kölner Raum und mehr als 15Prozent unserer Patienten aus dem nördlichen Teil von Rheinland-Pfalz. Diese können dann mit der DB zur Haltestelle hinter der Bundeskunsthalle fahren, und dort direkt in die Seilbahn einsteigen. Auf der rechten Seite in Ramersdorf gäbe es den Anschluss an die S-Bahn. Die Bonner Seilbahn würde sich von der Koblenzer und Kölner dahingehend unterscheiden, dass sie in den Verkehrsverbund mit eingebunden wäre und kein Extra-Ticket gelöst werden müsste. Nach dem hoch positiven Nutzen/Kosten Quotienten von 1. 6 würden Bund und Land bis zu 95Prozent der Investitionskosten übernehmen. Dadurch ist die Belastung für die Stadt signifikant verringert. Seilbahnen beinhalten sehr viele Vorteile. Man kann sie z. B. in ein bis anderthalb Jahren fertigstellen und die Kontrolle der Erstellungskosten ist leicht, weil die Pfeiler und Kabinen weitgehend vorgefertigt sind und es sich nicht um ein komplexes Bauprojekt handelt. Dies ist eine Mobilitätsmaßnahme mit sehr guter ökologischer Nachhaltigkeit.
Wie weit ist das Projekt für die Seilbahn vorangeschritten, dass man damit beginnen kann?
Das Projekt wurde in vielen Bürgerveranstaltungen bereits ausgiebig diskutiert und eine breite Unterstützung ist sichtbar geworden. Jetzt ist die hoffentlich zügige Vorantreibung des Planfeststellungsverfahrens wichtig.
Wenn Sie grünes Licht erhalten, wie lange braucht das Projekt, bis es umgesetzt ist?
Es ist schon sehr viel Vorarbeit geleistet worden, was Gutachten und Detailfragen anbelangt. Je professioneller die Vorbereitung ist, desto schneller erfolgt die Umsetzung. Mein Wunsch wäre, dass wir die erste Fahrt mit der Seilbahn 2026 durchführen können.
Wird das Arbeitsangebot des neuen Bildungszentrums gut angenommen und wie viele Arbeitsplätze können damit besetzt werden?
Wir haben neben den über 3.000 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden sowie weiteren akademischen Studiengängen noch mehr als 500 junge Menschen pro Jahr, die andere Berufe im Gesundheitswesen erlernen. Da geht es um Qualifikationen in der Pflege, in medizinisch-technischen Berufen etc. Inzwischen bieten wir auch einen akademischen Studiengang für Hebammen an, der gerade gestartet wurde. Im Bildungszentrum angesiedelt ist ebenfalls die Weiterbildung unserer ausländischen Kräfte, die nach Deutschland kommen über Verträge, die mit verschiedenen Ländern vereinbart wurden.
Gehen von den Menschen, die hier ausgebildet werden, welche wieder in ihr Land zurück?
Das ist unterschiedlich. Viele bleiben, weil sie sich hier sehr gut integriert haben. Manche gehen nach einer gewissen Zeit wieder zurück. Wir arbeiten nur mit Ländern zusammen, die eine ausgeglichene Lage vor Ort und häufig sogar ein Überangebot an Pflegekräften haben.
Hier auf dem Venusberg wurde immer sehr viel gebaut. Neue Gebäude vergrößert, die Kinderklinik ist nach oben gekommen und das neue Herzzentrum wird gerade gebaut. Wie geht es weiter?
In der Tat ist es so, dass auf dem Venusberg-Campus des UKB viel gebaut werden musste. So lag zwar die alte Kinderklinik wunderschön zwischen Adenauerallee und Rhein, aber wegen der exorbitant steigenden Instandhaltungskosten war es dringend nötig, diesen Standort zu verlassen. Wir vertraten das Konzept eines Eltern-Kind-Zentrums, also die Zusammenlegung der gesamten Kinderklinik mit der Geburtshilfe, um ideale Bedingungen für die Perinatale Medizin zu schaffen. Das gleiche Konzept der Zusammenführung wurde im Gebäude für Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik (NPP) realisiert. Unter dem gemeinsamen Dach des NPP werden z. B. der ambulante Bereich und der Notfallbereich von den drei Kliniken geteilt. Es geht heute immer um Synergismen bei der gemeinsamen Betreuung von Patienten*innen durch kooperierende Disziplinen. Wir bemühen uns übrigens auch, die Gebäude nicht nur architektonisch außen, sondern ebenfallsinnen ansprechend zu gestalten, weil wir der Meinung sind, dass ein gutes Ambiente der Heilung hilft und für die Mitarbeiter einen attraktiven Arbeitsplatz schafft. Auch das neue Herzzentrum ist solch eine Zusammenführung von Kardiologie und Herzchirurgie unter einem Dach. Beide arbeiten jetzt schon hervorragend zusammen, befinden sich jedoch an unterschiedlichen Standorten.
Welche baulichen Veränderungen planen Sie für die Zukunft?
Wir errichten für die Forschung neue Gebäude, weil wir auch in diesem Bereich sehr erfolgreich sind mit vielen neuen Professuren und Arbeitsgruppen. Wir brauchen für unsere Studierenden neue Ausbildungszentren, weil man heute z. B. viel in kleinen Gruppen und in Skills Labs ausbildet Wir planen auch noch weitere Zusammenführungen, z. B. die Bauchchirurgie mit der internistischen Gastroenterologie. Wir haben einen Masterplan, wie wir die älteren Gebäude durch neue funktionstüchtige Gebäude systematisch ersetzen. Wir waren auch eines der ersten Universitätsklinika mit kompletter Digitalisierung aller Patientenakten, wir haben eine innovative QR-basierte Navigations-App zu unseren Gebäuden und viele Digitalisierungsprojekte, die unsere Arbeit erleichtern und fördern.
Sie haben eben die Forschung angesprochen. Was war der größte Forschungserfolg, den Sie in den letzten Jahren hatten?
In der Forschung gibt es in kleineren sowie den größeren Fächern am UKB brillante Ergebnisse, z. B. in der neurologischen, kardiovaskulären, genetischen und immunologischen Forschung. Auch die interdisziplinäre und translationale Wissenschaft wird bei uns stark gefördert, und das auf unserem Campus gelegene großartige deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) ist sogar durch einen Tunnel mit dem NPP Gebäude verbunden. Am UKB wird sehr viel Laborforschung zur Bildgebung betrieben und auch zur künstlichen Intelligenz. In den Corona-Jahren haben z. B. unsere Forscher Beiträge in der Diagnostik für einen Covid-19 Massentest geliefert, der genauso zuverlässig, aber preisgünstiger ist als die PCR-Testung. Die Augenklinik hat Weltruhm erzielt in der Diagnostik und Therapie der Makuladegeneration (Altersblindheit) von der medikamentösen Therapie bis zur Gentherapie. Die Humangenetik hat viele bei Krankheiten relevanten Gene identifiziert, insbesondere im Bereich von psychiatrischen Erkrankungen. Diese sog. Sequenzierungstechniken ermöglichen heute, bei immer mehr Erkrankungen durch Diagnostik auf DNA-Ebene personalisierte Medizin anzubieten. In unseren chirurgischen Fächern haben wir immer wieder neue Operations-Methoden entwickelt, auch durch Einsatz von OP-Robotern und minimal-invasiver Technik. Forschung ist also ganz breit aufgestellt bei uns. Sie betrifft Medikamente, diagnostische Methoden und Therapien. Wegen der erfolgreichen Forschung haben wir neben dem vorhandenen Biomedizinischen Forschungszentrum ein zweites großes Forschungszentrum errichtet und ein drittes Gebäude in der Nachbarschaft mit Schwerpunkt auf Bildgebung und künstlicher Intelligenz ist in der Planung. Wir haben noch viele interessante Projekte in unserem strategischen Plan, um weiter ein führendes regionales, nationales und internationales Universitätsklinikum zu sein mit Erfolgen in Krankenversorgung, Forschung und Lehre.