Ein Plädoyer aus Sicht der Pflege
von Andreas Kocks, Pflegewissenschaftler
Eigentlich müsste die Sache doch klar sein: Arbeit im Gesundheitswesen ist Teamarbeit. Den Bedürfnissen der betroffenen Patienten und Angehörigen folgend, bringen unterschiedliche Professionen und unterschiedliche Disziplinen in Wissen und Können bestmöglich zusammen. Die Notwendigkeit unterschiedlicher Professionen wie Medizin, Pflege, Hebammen oder Physiotherapie leitet sich aus der Komplexität der Anforderungen ab und haben sich über die Zeit und mit den zunehmenden Erkenntnissen und Möglichkeiten eigenständig entwickelt. Wie vermessen wäre es, alle diese Anforderungen und Möglichkeiten des Gesundheitswesens in einer Profession zusammen zu führen. Es braucht Schwerpunktsetzungen, Expertentum und individuell unterschiedlich entwickelnde Expertisen und deren Schlüssel für gelingende Zusammenarbeit liegt notwendigerweise in einem gegenseitigen Verständnis und Kommunikation. So einfach und vermeintlich klar.
Ein Blick in die klinische Versorgung, in Fachzeitschriften oder auch die Anfrage für dieses Plädoyer kann aber die Vermutung nahelegen, dass möglicherweise die Qualität der Zusammenarbeit kritisch zu analysieren ist. So finden sich beispielsweise Rückmeldungen von Pflegenden, dass sie sich von anderen Berufsgruppen nicht gesehen, nicht beteiligt oder nicht verstanden fühlen. Es wird Wertschätzung vermisst, nicht oder nur bruchstückhaft kommuniziert oder es liegen tatsächliche interprofessionelle Konflikte vor. Manche Veröffentlichungen bezeichnen die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegenden sogar als ein chronischer Konflikt, wobei auch Ärzte sich durchaus mehr Verständnis für ihre Arbeit wünschen. Wie kann das sein und was trägt zu solchen Erfahrungen bei? Sicherlich ist diesen Fragen und Bedürfnissen nicht mit vermeintlich einfachen, pauschalen Antworten zu begegnen. Vielleicht lohnt sich aber ein Blick auf Aspekte, die gelingende Zusammenarbeit fördern.
Aus Sicht der Pflege könnte dies beispielsweise eine kritische Analyse der eigenen Profession sein. „Vor der Interprofessionalität kommt die Professionalität“, so habe ich es in meinem pflegewissenschaftlichen Studium immer wieder gehört. Diese Entwicklung von einem Beruf zu einer Profession sind eng verbunden mit Fragen nach den Zugangsvoraussetzungen, der zu erwerbenden Qualifikation sowie Entwicklungsmöglichkeiten, die berufliche (Selbst-) Organisation oder der Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit. International hat sich beispielsweise für die Pflege in nahezu allen Ländern das Hochschulstudium, die Fortbildungspflicht sowie die Organisation über Pflegekammern bis zur politischen Beteiligung über Chief Nursing Officer im Gesundheitsministerium etabliert. Auch im Ansatz des Magnet-Krankenhauses werden Formate über die geteilte Führung (shared governance) beispielsweise mit Gremien zur Patientensicherheit oder Pflegequalität beschrieben, in denen Pflegende, Ärzte und weitere Professionen gemeinsam an Analysen und Entwicklungen arbeiten. Beteiligung mit Expertise und Verantwortungsübernahme scheint hier ein Schlüssel für Versorgungsqualität und Berufszufriedenheit zu sein.
Eine andere relevante Frage ist die des gegenseitigen Verständnisses. Was tun Pflegende, wie und warum? Manchmal kann man in der Öffentlichkeit gerade gegenüber anderen Professionen den Eindruck gewinnen, Pflegenden trauen sich nicht hierüber zu sprechen. Sicherlich fällt es auch nicht immer leicht oder erscheint manchen mit der Aussprache als klein und unbedeutend. Pflegenden kann hier nur Mut gemacht werden. Prof. Angelika Zegelin, eine Pflegewissenschaftlerin, gab hier ihren Studierenden immer den Auftrag: „Nehmen Sie sich einen ihrer Ärzte auf ihrer Station und erzählen Sie ihm mit konkreten Geschichten 15 Minuten von ihrer Arbeit. Diese Anregung hilft übrigens auch im Privaten und in der Öffentlichkeitsarbeit.“
Letztendlich lebt die interprofessionelle Zusammenarbeit immer auch von Begegnungen und der konkreten Übung. Von der gemeinsamen Ausbildung über gemeinsame Praxisformate wie die Visite oder die Fallbesprechung bis zu gemeinsamen Projekten, Kongressbesuchen oder Teamtreffen. Die klinische Arbeit im Gesundheitswesen bietet viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit, wir sollten diese fördern, indem wir uns gegenseitig einladen, inspirieren und die Zusammenarbeit im wahrsten Sinne des Wortes pflegen. Das hilft uns übrigens nicht nur im beruflichen Kontext, sondern auch uns selbst – gelingende Kooperation macht Spaß.