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Dunkel Hell

Ein Gespräch mit Prof. Søren Jepsen

Fast fünf Jahrzehnte hat Prof. Søren Jepsen der Zahnmedizin gewidmet – als Wissenschaftler, Klinikdirektor, Lehrer, Mentor und international anerkannter Experte für Parodontologie. Im Interview blickt er zurück auf bewegende Stationen seiner Karriere, auf prägende Entwicklungen in der Forschung und auf das, was ihn auch heute noch antreibt.

Herr Prof. Jepsen, wenn Sie auf Ihre Laufbahn zurückblicken – welche Stationen oder Erlebnisse waren für Sie besonders prägend?

Da gibt es tatsächlich viele. Mit dem Studium bin ich inzwischen seit fast 50 Jahren in der Zahnmedizin tätig – eine lange, reiche Zeit. Besonders prägend war sicher mein Studium und die Assistenzzeit in Hamburg. Dort habe ich nicht nur meine großartige Frau kennengelernt, sondern auch meine Freude an der Lehre entdeckt. Später, während unserer gemeinsamen Fachzahnarzt- und Postdoc-Zeit in Südkalifornien, wurde meine Begeisterung für die Forschung geweckt – eine spannende Phase, gefördert durch Stipendien des DAAD und der DFG.

Sehr prägend war auch meine Zeit als Oberarzt in Kiel und natürlich die inzwischen fast 25 Jahre als Direktor der Klinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde am UKB. In dieser Zeit gab es viele Highlights: etwa die Berufung nach Bern, die ich 2008 ausschlug, nachdem wir in Bonn die in Deutschland erste und bislang einzige DFG-Klinische Forschergruppe in der Zahnmedizin einwerben konnten. Die gemeinsame Arbeit in diesem Verbundprojekt war ein wissenschaftlicher und menschlicher Höhepunkt – so viel spannende Ergebnisse, so viel geteilte Freude!

Auch meine Tätigkeit im Vorstand und als Präsident der Europäischen Fachgesellschaft von 2012 bis 2017 hat mich sehr geprägt – das war Europa im Kleinen, mit all seinen unterschiedlichen Mentalitäten. Ebenso die Organisation des World Workshop 2017 in Chicago zur Entwicklung einer neuen Klassifikation parodontaler und periimplantärer Erkrankungen oder die Leitung des EuroPerio9 Kongresses 2018 in Amsterdam mit über 10.000 Teilnehmenden aus aller Welt.

Dazu kamen europäische Konsensuskonferenzen zur Entwicklung von Leitlinien und große Kongresse in Bonn – zuletzt die Jubiläumstagung „100 Jahre Deutsche Parodontologie“ im WCCB im Jahr 2024. Rektor, Dekan und Ärztlicher Direktor haben dort sehr persönliche Grußworte entrichtet, worüber ich mich sehr gefreut habe.

Was hat Sie all die Jahre an Lehre und Forschung besonders fasziniert?

Zum einen ist es die Möglichkeit, das eigene Fach wirklich mitgestalten und weiterentwickeln zu können – durch klinische Studien, deren Publikationen in internationalen Top-Journals, durch Konsensusprozesse, und diese Neuerungen auf Kongressen, in der studentischen Lehre und zahnärztlicher Fortbildung zu verbreiten. Wenn man merkt, dass man wichtige Impulse setzen kann, motiviert das ungemein.

Zum anderen war und ist mir die Förderung junger Kolleginnen und Kollegen eine Herzensangelegenheit. Ich durfte viele auf ihrem Weg begleiten – 11 Habilitationen, 4 Berufungen auf Lehrstühle, und 3 apl. Professuren sind aus unserer Klinik hervorgegangen. Geteilte Freude ist doppelte Freude – das gilt ganz besonders auch hier.

Die Parodontologie hat sich stark gewandelt. Welche Entwicklungen waren für Sie besonders bedeutsam?

Da hat sich in den letzten Jahrzehnten wirklich viel getan. Parodontitis – eine der häufigsten chronischen Erkrankungen weltweit überhaupt – hat enorme Auswirkungen nicht nur auf die Mund- sondern auch auf die Allgemeingesundheit und belastet mir ihren Folgen die Gesundheitssysteme. Karies haben wir in Deutschland mittlerweile recht gut im Griff, bei der Parodontitis besteht noch großer Handlungsbedarf wie die aktuelle Deutsche Mundgesundheitsstudie zeigt, vor allem angesichts der demografischen Entwicklung.

Besonders wichtig sind mir die evidenzbasierte Herangehensweise, der präventive Fokus sowie die Integration der Parodontologie in die Medizin insgesamt. Nach bibliometrischen Analysen ist das Fachgebiet inzwischen Top-Thema in der Zahnmedizin, und die deutsche Parodontologie hat international eine hohe Sichtbarkeit erlangt – auch dank vieler Arbeiten aus Bonn.

Ein weiterer Punkt: Angesichts der hohen Parodontitislast in Deutschland hat die Fortbildung von Dentalhygienikerinnen, die wir seit 10 Jahren in Bonn durchführen, enorm an Ansehen und Bedeutung gewonnen – eine Entwicklung, die ich sehr begrüße.

Gibt es bestimmte Forschungsprojekte, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

Ja, einige. Innerhalb der Klinischen Forschergruppe haben wir uns intensiv mit genetischen Aspekten der Parodontitis und der angeborenen Immunabwehr – etwa antimikrobiellen Peptiden – befasst.

In der klinischen Forschung lagen meine Schwerpunkte bei regenerativen Therapien. Besonders am Herzen lagen mir auch unsere animierten Lehrfilme zum Wissenstransfer, mit denen wir das „Unsichtbare sichtbar“ machen konnten. Und nicht zuletzt die Versorgungsforschung zum Zusammenhang von Diabetes und Parodontitis.  Mit der aktuell laufenden Digin2Perio-Studie wollen wir die Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt- und Hausrztpraxen fördern, um die Früherkennung von Diabetes und Parodontitis zu verbessern.

Wie hat sich die zahnmedizinische Ausbildung verändert – und wo sehen Sie künftige Herausforderungen?

Die Ausbildung ist deutlich präventionsorientierter geworden – vom ersten Semester an – das ist ein großer Fortschritt. Zahnmedizin sollte eigentlich besser „Orale Medizin“ heißen. Die Mundhöhle darf nicht mehr vom Rest des Körpers getrennte Region betrachtet werden, sondern als Teil des Gesamtorganismus mir vielfältigen Wechselwirkungen – wie es auch die WHO mit ihrem neuen Konzept von „Oral Health“ betont. Insgesamt ist die Zahnmedizin wissenschaftlicher geworden – diese wissenschaftlich-kritische Herangehensweise muss in der studentischen Lehre zukünftig noch besser vermittelt werden.

Herausforderungen und Chancen sehe ich in der Digitalisierung und der zunehmenden Integration von KI-Anwendungen – hier tut sich viel. Gleichzeitig muss das Studium studierbar bleiben! Und wir brauchen genügend Nachwuchs, gerade auch im akademischen Bereich.

Gab es eine Begegnung, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Ja natürlich – Ich erinnere mich zum Beispiel sehr gern an einen ca. 90-jährigen Patienten – einen ehemaligen Bonner Ordinarius – der noch alle seine eigenen Zähne hatte und dies voller Dankbarkeit unserer langjährigen regelmäßigen Betreuung zuschrieb. Oder ein ehemaliger Student in Hamburg, der mir 30 Jahre später erzählte: „Du warst der Einzige, der uns immer praktisch vorgemacht hat, wie das geht. Ich habe dann versucht das bei meinen Studierenden genauso zu machen.“ Und natürlich immer wieder unsere Dentalhygienikerinnen: Ihr Enthusiasmus ist wirklich ansteckend.

Sie treten bald in die Seniorprofessur an der Universität Bonn ein – mit welchen Gefühlen?

Entspannt und freudig. Mehr Kür und weniger Pflicht, auch weniger Bürokratie und Deadlines – und darauf, mich auf das konzentrieren zu können, was mir sehr viel Freude macht: Lehre zu ausgewählten Themen und Fertigstellung von Forschungsprojekten und Publikationen.

Gibt es Dinge, denen Sie sich künftig stärker widmen möchten – beruflich oder privat?

Die Liste ist lang! Ich möchte endlich richtig kochen lernen, wieder Querflöte und vielleicht auch etwas Klavier spielen, auf der Ostsee segeln, Kitesurfen, auf der Hamburger Alster rudern, europäische Inseln bereisen, Opern entdecken, das Ballett wieder zu entdecken, mehr lesen, Schach spielen …

Und ich plane, mich auch weiterhin ehrenamtlich zu engagieren – etwa bei der DFG und in wissenschaftlichen Stiftungen.

Zum Schluss: Welche Botschaft möchten Sie jungen Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg geben?

Dranbleiben – und sich einen guten Mentor oder Mentorin suchen! Der Beruf des Hochschullehrers in der Zahnmedizin ist unglaublich vielfältig: Er verbindet Präzisionshandwerk, Lehre mit klugen, motivierten jungen Menschen und intellektuelle Herausforderung durch Forschung.

Aber: Man sollte auch einen Plan B haben. Wenn es mit der akademischen Karriere nicht klappt, ist auch die Tätigkeit in einer Praxis eine tolle Option – auch von dort aus kann man seine Expertise in Fortbildungskursen weitergeben, sich an klinischer Forschung beteiligen und in Fachgesellschaften engagieren.

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