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Dunkel Hell

Die Neurochirurgie am UKB hat ihre Neuronavigationsumgebung mit einem Investitionsvolumen von 1,7 Millionen Euro komplett erneuert und ist damit „Up to Date“

Während einer Operation am Gehirn ermöglicht die Neuronavigation eine millimetergenaue Orientierung. Sie definiert in einem Operationsfeld beispielsweise Tumorgrenzen oder bestimmte Gehirnbereiche. Die Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Bonn hat in zwei Operationssälen jeweils ein hochmodernes Neuronavigationssystem mit vielen neuen Funktionen wie die Integration der Navigationsdaten direkt ins Blickfeld des Chirurgen durch erweiterte Realität (Augmented Reality) in Betrieb genommen. Neben einer erhöhten Präzision bietet es unter anderem noch mehr Sicherheit für Patient*innen und Fachpersonal.

Hinter hochmoderner Neuronavigation steckt mehr als ein mobiler Bildschirm und eine fahrbare Kamera im Operationssaal. Das Kernstück ist eine Computersoftware, die eine genaue Planung von Eingriffen und Operationen ermöglicht. Dazu wird die Computersoftware mit Daten der Computer- oder Kernspintomographie der*s Patient*in gefüttert, aus denen dann ein hochauflösendes dreidimensionales Bild berechnet wird. Auf dem Monitor können sich die Neurochirurg*innen es aus allen Betrachtungswinkeln anschauen. Die neue Software, die am UKB vollständig von der uk-it betreut wird, ist modular aufgebaut. „Die serverbasierte Lösung mit Betreib auf einer virtuellen Maschine ermöglicht uns, eine Behandlung oder Operation vollständig am Schreibtisch zu planen, und das auch gemeinsam in einer Session mit Kolleginnen und Kollegen, die nicht vor Ort sind“, sagt PD Dr. Valeri Borger, Leitender Oberarzt der Klinik für Neurochirurgie am UKB.

Segmentierung des Gehirns ist genauer und schneller

Die Software ist quasi wie ein Anatomie-Atlas des Gehirns mit katalogisierten Grundsatzdaten und vorgelegten Bausteinen wie Faserbahnen, beispielsweise vom motorischen Zentrum. „Damit können wir genau sehen, was der Tumor zum Beispiel mit diesen Bahnen macht. Alle gängigen Faserbahnen sind als vorbelegte Muster vorgegeben. Mithilfe der Patientendaten beziehungsweise deren Bildern können wir alles individuell für unsere Patientinnen und Patienten darstellen“, sagt Borger. Die Halbautomatisierung beschleunigt dabei die Planung durch die Planungssoftware.

Bildunterschrift: (v. li) Assistenzarzt Sertac Dede und Operateur PD Dr. med. Valeri Borger sehen die dreidimensionale OP-Planung nicht nur am Monitor, sondern auch als eine Art Augmented Reality in ihrem Mikroskop-Blickfeld. Bildautor: Rolf Müller

Das virtuelle Modell wird dann im OP auf Monitore hochgeladen und mittels eines mobilen optischen Systems mit 3-D-Kamera kontinuierlich während des Eingriffes mit den realen anatomischen Verhältnissen der zu operierenden Person abgeglichen. Die Kamera ortet zusätzlich das Operationsinstrument. „Das Navigationssystem zeigt mir dadurch auf dem Monitor ganz genau an, wo dessen Spitze hindeutet und wo im Hirn sich dieser Punkt befindet.“, sagt Borger. Eine Neuerung stellt die Möglichkeit einer elektromagnetischen Navigation dar, die nun zusätzlich neben der klassischen optisch basierten Neuronavigation im technischen Repertoire der Neurochirurgie zum Einsatz kommt. Hierbei muss während der OP der Kopf nicht wie üblich in eine Kopfklemme eingespannt werden. Das ist vor allem ein Vorteil bei Kindern.

Visualisierung von Tumorrand oder geplante Schnittführung im Mikroskop

Noch präziser wird die Operation jetzt durch die neue Mikroskop-Integration, mit denen eine Visualisierung über Kopplung möglich ist, das heißt die dreidimensionalen Bilder zur OP-Planung können auch in das Mikroskop-Bild eingespielt werden. „In dieser Art Augmented Reality habe ich jetzt beispielweise im Vorfeld geplante Resektionsgrenzen für einen Tumor oder die zu schonenden motorischen Bahnen direkt in meinem Blickfeld. Dabei werden die zuvor definierten und errechneten Strukturen als 3-D-Objekte über das Operationsfeld projiziert“, sagt Neurochirurg Borger. Neben der Integration der Neuronavigation zur Visualisierung kann das Mikroskop auch robotisch gesteuert werden. „Trotz Bewegungen des OP-Mikroskops ist ein Gebiet im Gehirn immer scharf gestellt oder ich folge kontinuierlich meinem Instrument. Das Ist ein Komfort für uns, es beschleunigt den Eingriff und bietet mehr Sicherheit“, sagt Borger.

Visualisierung der virtuellen OP-Planung im Operationsfeld. Patientenname muss noch unkenntlich gemacht werden | Bildautor: Rolf Müller

Neu ist auch der intraoperative Ultraschall – ein Highend-Gerät mit hochauflösendem Ultraschall, das komplett in die Neuronavigation integriert ist. „Die Revolution ist, dass wir unkompliziert beliebig oft und schnell während der OP eine Aufnahme machen können und das auch in 3D“, sagt Borger. So können die vorher aufgenommenen Daten vom Gehirn wie MRT-Bilder aktualisiert und ein Update der OP-Planung und der Neuronavigation erstellt werden. Zudem kann das Operationsteam beispielsweise Resektionsschritte während der OP verfolgen. Es ist zudem ohne zeitlichen und operativen Aufwand immer verfügbar. Hier sind mit einer Aufstockung der Ultraschall-Sonden beispielsweise weitere Investitionen geplant, damit gleich bei der nächsten OP das Gerät wieder zur Verfügung steht. Denn Sonden müssen vor jedem Einsatz sterilisiert werden.

Neben Augmented Reality, einer ausgefeilteren OP-Planung und dem intraoperativen Ultraschall, welche Möglichkeiten bietet die neue Neuronavigationsumgebung am UKB noch?

PD Dr. Borger: Neu ist auch der Roboter-Arm für den Tisch. Er hat eine integrierte Neuronavigation und verschiedene Einsatzmöglichkeiten. In der Wirbelsäulenchirurgie können wir beispielsweise Wirbelkörper als anatomische Objekte segmentieren, sprich aus der Bildgebung heraus visualisieren, die Lage der Schrauben planen und deren genaue Lage verifizieren und abgleichen. Intraoperativ wird hier auch die Planung für den Eingriff eingespielt. Wir führen den Roboterarm grob über das zu operierende Feld, der Roboter fixiert genau die Koordinaten und richtet sich automatisch entlang des geplanten Bohrkanals für die Schraube aus. Anschließend können wir ganz genau über eine Bohrhülse des Roboters den Schraubenkanal im Wirbelkörper vorbereiten und dann präzise entsprechend der Planung die Schraube einbringen. Auch bei stereotaktischen Eingriffen ist er gut einsetzbar. Denn wir können auf den einschränkenden Rahmen verzichten und haben mit dem Roboter mehr Freiheitsgrade im Raum. Zudem ist der Eingriff schneller und weniger aufwendig.

Wir verwenden den Roboterarm beispielsweise bei Hirnbiopsien, wollen es aber auch in der Epilepsiechirurgie einsetzen. Für die invasive Diagnostik mittels eines sogenannten Stereo-EEGs, eines von unseren Schwerpunkten in der Epilepsiechirurgie in Bonn, müssen den Betroffenen bis zu 16 Elektroden eigesetzt werden. Mit Roboterarm ist das leichter und reduziert Fehler, durch die genaue Visualisierung, wo die Elektroden platziert werden sollen. Es ist auch sehr komfortabel für uns, da wir nicht die Koordinaten für jede einzelne Elektrode manuell am Stereotaxie-Rahmen einstellen müssen. Die Implantation von Sonden zur Tiefenhirnstimulation ist auch mit dem Roboter-Arm möglich, aber Resektionen beispielsweise von Tumoren gehen nicht.

Bildunterschrift: PD Dr. Valeri Borger schätzt die neue hochmoderne Neuronavigation im neurochirurgischen OP am UKB. Bildautor: UKB

Welche Erfahrungen haben Sie mit der neuen Neuronavigationsumgebung bereits gemacht?

PD Dr. Borger: Tatsächlich das, was wir uns erhofft haben. Die Integration funktioniert einwandfrei. Die Navigation ist schnell einsatzbereit. Mit dem Anschluss an das Krankenhausdatensystem KIS gibt es eine bessere Verfügbarkeit der Daten. Das geht schon in Richtung von Digitalisierung der OP-Abläufe. Es liegt alles zentral auf einem Server mit entsprechender Betriebssicherheit und dem Support. Man muss mit dem Geist der Zeit gehen. Wir haben jetzt Zusatzinformationen bei der Planung einer OP, zudem eine erhöhte Sicherheit und eventuell auch ein besseres Outcome. Vieles kennen wir, Neurochirurgie-Teams, schon wie Brot und Wasser. Trotzdem ist Schulungsbedarf vorhanden, denn die neue Neuronavigation muss implementiert und in unseren Workflow integriert werden. Auf der anderen Seite kann vieles intuitiv erfasst werden und ist schnell erlernbar.

Warum sind Sie Neurochirurg geworden?

PD Dr. Borger: Weil dieses Fach trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Fokussierung auf das Nervensystem unheimlich facettenreich ist und innerhalb der chirurgischen Disziplinen den höchsten Grad der Technologisierung hat. Es ist reizvoll, immer viele neue interessante Techniken ausprobieren zu können und diese in immer breiter werdendem Arbeitsfeld einzusetzen. Die Neurochirurgie ist ein Motor für ganz moderne technische Entwicklungen zugunsten der Patientinnen und Patienten.

Großes Bild auf der linken Seite des Beitrags. Die 1. Headline „Augmented Reality und Roboter in der Neurochirurgie“ ist auch Bildunterschrift. Bildautor: Dr. Anna-Laura Potthoff

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