Studienergebnisse der Psychiatrie am UKB legen nahe, dass Personen mit ADHS von gezielter Sensibilisierung und ergänzender finanzieller Beratung profitieren könnten
ADHS-Merkmale wirken sich nicht nur auf Schule und Beruf aus, sondern auch auf das Finanzverhalten. In einer Querschnittsstudie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKB (Direktorin Prof. Alexandra Philipsen) mit 945 aktiven Online-Händlern zeigte sich, dass stärkere ADHS-Züge mit höherer Risikobereitschaft, häufigerem spekulativen Handelsverhalten und im Durchschnitt geringeren Renditen verbunden sind. Besonders hervorzuheben ist die Unaufmerksamkeit: Sie erwies sich als entscheidender Treiber für ungünstige Handelsentscheidungen – etwa durch Flüchtigkeitsfehler oder Schwierigkeiten in der Planung und Entscheidungsfindung. Diese Faktoren scheinen den Einfluss von Impulsivität sogar zu übertreffen. Erst- und Korrespondenzautor Dr. Max Witry sprach mit UKBmittendrin über Motivation und die Studienergebnisse:
UKBmittendrin: Können Sie kurz ADHS beschreiben, Herr Dr. Witry?
Dr. Witry: ADHS ist eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, die bei etwa 2 bis 2,5 Prozent der Erwachsenen vorkommt. Sie äußert sich durch Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität in unterschiedlicher Ausprägung. Viele Betroffene berichten von starker Ablenkbarkeit, Flüchtigkeitsfehlern und Schwierigkeiten, strukturierte Aufgaben konsequent zu erledigen. Hinzu kommen innere Unruhe, Probleme mit der Impulskontrolle und eine wechselhafte Frustrationstoleranz. Diese Merkmale erschweren nicht nur den Alltag, sondern können sich auch auf komplexe Entscheidungen – etwa im finanziellen Bereich – auswirken.
UKBmittendrin: Was war der Ausgangspunkt für Ihre Untersuchung?
Dr. Witry: In unserer ADHS-Ambulanz schilderten zahlreiche Patientinnen und Patienten Probleme beim Umgang mit Geld, insbesondere beim Aktienhandel. Teilweise kam es zu Kontrollverlust und suchtähnlichem Verhalten mit erheblichen Verlusten. Das war der Anlass für uns, den Zusammenhang systematisch zu untersuchen. Für die Studie haben wir eine Umfrage über die Social-Media-Plattform Getquin durchgeführt, die vor allem von Privatanlegern genutzt wird.
UKBmittendrin: Was sind Ihre Ergebnisse und wie lassen sich diese einordnen?
Dr. Witry: Menschen mit ausgeprägten ADHS-Merkmalen handeln risikoreicher. Sie kaufen und verkaufen häufiger, spekulieren stärker und erzielen im Durchschnitt geringere Renditen. Da es sich um eine Querschnittsstudie handelt, lassen sich keine Kausalzusammenhänge ableiten. Vermutlich wirken aber verschiedene Faktoren zusammen: die Suche nach kurzfristiger Belohnung, eine geringere Frustrationstoleranz und Schwierigkeiten, langfristige Strategien konsequent umzusetzen.
UKBmittendrin: Hatten Sie mit diesem Ergebnis gerechnet?
Dr. Witry: Überraschend für uns war, dass vor allem die Unaufmerksamkeit und weniger die Impulsivität mit riskantem Handeln und schlechterer Portfolioperformance verbunden war. Wir hatten eher einen stärkeren Einfluss der Impulsivität erwartet und, dass die Unaufmerksamkeit das deutlichere Risiko darstellt, war ein unerwarteter Befund. Denkbar ist aber auch, dass impulsive Entscheidungen in bestimmten Situationen Vorteile bringen können. Das wollen wir in Folgestudien näher untersuchen. So ist bereits eine ergänzende Studie in Zusammenarbeit mit der ETH Zurich geplant, um die kausalen Zusammenhänge genauer zu klären.
UKBmittendrin: Welche Relevanz hat das für Personen ohne ADHS-Diagnose?
Dr. Witry: Auch ohne formelle Diagnose können ADHS-typische Merkmale das eigene Finanzverhalten prägen. Wer feststellt, dass er sehr häufig handelt oder Entscheidungen aus Reizsuche trifft, sollte dies kritisch hinterfragen und die eigene Strategie überprüfen. An der Börse gilt nicht umsonst der Satz: Viel Hin und Her macht Taschen leer.
UKBmittendrin: Welche praktischen Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Dr. Witry: Für die klinische Arbeit ist wichtig, Patientinnen und Patienten mit ADHS auch auf mögliche Risiken bei Finanzentscheidungen hinzuweisen. Aufklärung und präventive Maßnahmen können helfen, größere Schäden zu vermeiden. Für Anlegerinnen und Anleger insgesamt gilt: Eine reflektierte und strukturierte Vorgehensweise ist entscheidend.
Hier geht es zur Publikation: https://www.nature.com/articles/s41598-025-17467-3