Eine Pflegelegende verabschiedet sich
Über fünf Jahrzehnte im Dienst, unzählige bewegende Begegnungen – und ein Engagement, das weit über das Rentenalter hinausreicht: Helmut Müller, DAISY-Preisträger des Monats September 2025, blickt im Interview auf 54 Jahre UKB zurück. Vom Boten zum unverzichtbaren Teammitglied der Freud-/Diamorphinambulanz, von Notfällen bis zu menschlich tief berührenden Momenten. Ein Gespräch über Wandel in der Psychiatrie, den Wert echter menschlicher Nähe – und warum man nie aufhören sollte, dazuzulernen.

UKBmittendrin: Sie waren 54 Jahre am Universitätsklinikum Bonn in der Pflege tätig. Wie kam es, dass Sie so lange geblieben sind?
Müller: Es lag sicher auch an vielen privaten und persönlichen Dingen. Aber für mich stand nie zur Debatte, irgendwo anders hinzugehen. Ich war von Anfang an sehr eng mit der Klinik verbunden – schon in meiner Jugend habe ich hier gearbeitet. Mein Vater war ebenfalls in der Pflege am UKB, dadurch hatte ich einen ganz anderen Zugang zur Klinik und zu den Institutionen. Und mir hat die Arbeit mit den Menschen immer gefallen. Wichtig war mir dabei, authentisch zu bleiben, mitzufühlen, aber auch korrigierend einzugreifen – gerade in der Psychiatrie ist das sehr wichtig.
UKBmittendrin: Was hat Sie besonders an Ihrer Arbeit fasziniert?
Müller: Vor allem die Lebensgeschichten der Menschen. Manche habe ich jahrzehntelang begleitet. Zum Beispiel eine Patientin, die mit 17 das erste Mal bei uns war – heute ist sie über 40, hat zwei Kinder und kämpft immer noch mit ihren Diagnosen. Solche langen Wege mitzuerleben ist sehr prägend.
UKBmittendrin: Gab es Patienten oder Erlebnisse, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Müller: Ja, einige. Ich erinnere mich an einen sehr fröhlichen Patienten, zu dem ich guten Kontakt hatte. Er reiste gern nach Portugal, war aber auch ein kleines Schlitzohr. Eines Tages wurde er in einem Wald bei Siegburg gefunden – er hatte sich mit Heroin das Leben genommen. Das hat mich lange beschäftigt.
UKBmittendrin: Gab es in Ihrer Laufbahn Momente, in denen Sie an Ihre Grenzen gekommen sind?
Müller: Ja, besonders in Notfallsituationen. Wir hatten oft Patienten aus Kriegsgebieten, die schwer traumatisiert waren und mit Polizeigewalt fixiert werden mussten. Da denkt man manchmal: „Es könnte jederzeit eskalieren.“ Aber das gehört leider zum Alltag in der Psychiatrie.
UKBmittendrin: Die Pflege hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Wie haben Sie diesen Wandel erlebt?
Müller: Enorm. Früher waren Medikamente viel invasiver, die Patienten hatten starke Nebenwirkungen. In den 80ern kamen viele Menschen völlig unbehandelt in die Klinik, sie waren teils massiv gestört. Damals wurde sehr hoch dosiert gespritzt – mit allen Konsequenzen. Heute ist das ganz anders. Meistens hatten die Patienten schon vorher Kontakt zu Psychiatern und bekommen gezieltere Medikamente.
Allerdings sehe ich auch eine problematische Entwicklung: Die Rechtslage erlaubt heute oft kein sofortiges Eingreifen. Wenn ein Patient sich selbst verletzt, dürfen wir ihn nicht gegen seinen Willen behandeln – manchmal tagelang. Das kann gefährlich sein, auch für andere.
Auch eine spannende Entwicklung ist der Einsatz von KI und die Digitalisierung allgemein. Viele lehnen es noch ab, aber es wird unsere Arbeit erleichtern. In manchen Kliniken können Pflegeberichte schon per Spracheingabe erstellt werden. Auch in Diagnostik und Pflege wird KI in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Deshalb ist Fort- und Weiterbildung entscheidend, um Schritt zu halten.
UKBmittendrin: Was würden Sie jungen Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg geben?
Müller: Offen bleiben für Veränderungen, Fortbildungen besuchen und sich mit Digitalisierung auseinandersetzen. Und immer im Blick behalten: Pflege ist ein Beruf für und mit Menschen.
UKBmittendrin: Wie geht es jetzt weiter?
Müller: Meine Frau und ich haben ein großes Haus mit Garten in der Eifel. Ich fahre auch gern Motorrad, versuche Gitarre zu spielen. Und meine Frau hält mich ordentlich auf Trab, weil sie so viele Projekte und Ideen hat. Also, langweilig wird’s nicht. Natürlich werden mir die Kolleginnen und Kollegen fehlen. Ich hatte immer ein gutes Team. Ich werde sie aber weiterhin ab und an besuchen.