Das UKB-Green Team der Anästhesie – Forschungsprojekte und Motivation
Das Thema Nachhaltigkeit stärker in den klinischen Fokus stellen – das ist das wichtigste Ziel des Green Teams am UKB. Gegründet von der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin (KAI), beschäftigt sich das Team damit, wie im Klinikalltag stärker die „5-R“ der Nachhaltigkeit umgesetzt werden können: Reycle, Reduce, Reuse, Refuse und Rethink. In bisherigen Projekten erforschte es, wie die Emissionen von Narkosegasen gesenkt werden können und wie weniger Sondermüll in der Anästhesie durch Atemkalk-Kartuschen entsteht. Ganz neu untersucht hat es nun, wie der Propofol-Verwurf im OP verringert werden kann. Über die Motivation und Ziele der Forschungsprojekte haben Prof. Dr. Mark Coburn, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin (KAI), und Dr. Florian Windler, Assistenzarzt der KAI, mit Anna Bolten für ukb-mittendrin gesprochen:
Warum ist Ihnen das Thema Nachhaltigkeit so wichtig?“
Prof. Dr. Mark Coburn: „Zunächst einmal aufgrund meiner Arbeit: Die Anästhesie und Intensivmedizin gehören zu den ressourcen- und energieintensivsten Bereichen und erzeugen einen großen Anteil an Krankenhaus- und Medikamentenabfälle. Gerade in unserem Fach gibt es also eine Menge zu tun in Sachen Nachhaltigkeit. Und: Ich erlebe immer mehr Patient*innen, die an den Folgen durch Hitze oder Hochwasser erkranken die mit dem Klimawandel assoziiert werden können. Deshalb ist es meiner Meinung nach auch aus medizinischer Sicht wichtig, dass wir uns mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Politisch und von den Kostenträgern wird Nachhaltigkeit in Kliniken in meiner Wahrnehmung noch nicht ausreichend berücksichtigt, obwohl nachhaltigeres Handeln Prozesse optimieren und Kosten einsparen kann.“
Wie kam es zur Gründung des Green Teams?
Prof. Dr. Mark Coburn: „Ich leite auf nationaler Ebene das Forum für Nachhaltigkeit der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin. Wir waren im Jahr 2020 eine der ersten medizinischen Dachgesellschaften in Deutschland, die ein Positionspapier zur Nachhaltigkeit mit 27 Empfehlungen erstellt hatte. Ende 2024 wurde bereits ein Up-Date des Positionspaiers veröffentlicht. Das Green Team habe ich dann am UKB gegründet, um unsere Arbeit hier vor Ort Schritt für Schritt nachhaltiger zu gestalten und unseren ökologischen Fußabdruck kontinuierlich zu reduzieren. Wie das funktioniert, untersuchen wir mit dem Green Team wissenschaftlich: Oft hat man bei seiner Arbeit zwar schon ein Bauchgefühl dafür, woran sich ökologisch noch etwas verbessern lässt – aber erst durch unsere Forschungsprojekte haben wir dann auch die wissenschaftliche Evidenz für dieses Bauchgefühl.“
Wer ist alles Teil des Green Teams am KAI?
Prof. Mark Coburn: „Wir sind interprofessionell aufgestellt – ob Oberärzt*innen, Pflegenden, Fach- oder Assistenzärzt*innen unserer Klinik. Wichtige dabei ist mir, dass die Mitglieder alle eine intrinsische Motivation haben. Die Ideen für neue Projekte kommen auch immer aus der Arbeitsgruppe, ich gebe sie nicht vor. Das funktioniert sehr gut und die Begeisterung für die Themen sind entsprechend groß – und so sind eben schon ganz viele tolle Projekte entstanden.“
Dr. Florian Windler: „Bei mir war es vor allem das wissenschaftliche Interesse, das mich getrieben hat, Mitglied des Green Teams zu werden. Ich halte Nachhaltigkeit in unserer klinischen Arbeit für extrem relevant. Und, wenn man dann mit handfesten, statistisch gut und kontrolliert erhobenen Daten eine Aussage zur Nachhaltigkeit von bestimmten Verfahren machen kann, dann ist das ist sehr befriedigend. Auch sind die Ergebnisse des Green Teams eben enorm wichtig, denn im Rahmen der Nachhaltigkeit ist noch viel zu tun – und manchmal sind es eben fast banale Änderungen in der Praxis, deren nachhaltigen Effekt wir dann wissenschaftlich belegen können. Zudem ist es noch ein relativ neues Feld und ich mag es, mich da auszutoben und zu ergründen, welches Verfahren jetzt beispielsweise bezüglich des CO2-Verbrauchs wirklich nachhaltiger ist. Wirklich Ansätze für Handlungsempfehlungen zur Nachhaltigkeit zu finden, ist dann ein gutes Gefühl.“
Wie entsteht denn so ein neues Projekt?
Prof. Dr. Mark Coburn: „Zunächst gibt es eine Projektidee und einen Plan, was es dabei jeweils zu beachten ist. Denn als Mediziner können wir natürlich nicht einfach alles machen, sondern es gibt bestimmt Aspekte, nach denen wir uns richten müssen. Darunter fallen zum Beispiel hygienische Aspekte und die Patientensicherheit. Die ist natürlich immer das höchste Gut und wir forschen an nichts, was diese einschränkt – ganz im Gegenteil. Vor der Umsetzung werden alle Ideen erstmal in entsprechenden Strukturen, wie dem Leitungsteam und dann dem Oberarztteam, vorgestellt, bevor sie in der Klinik umgesetzt werden.“
Kommen wir doch mal zu den aktuellen Projekten. Zuletzt haben sie zum Anästhetikum Propofol im OP publiziert. Was genau haben sie untersucht und was war Ihre Motivation dazu?
Dr. Florian Windler: „Genau! Dabei haben wir uns angeschaut, mit welchem der bereits etablierten Verfahren der Propofol-Verwurf geringer ist: Es gibt einmal die Möglichkeit, das Anästhetikum zunächst mit einer separaten Spritze zur Narkoseeinleitung und dann mit einer Spritzenpumpe zur Aufrechterhaltung der Narkose zu spritzen. Alternativ verwendet man aber nur eine Spritze für Einleitung und Aufrechterhaltung. Und wir haben untersucht, bei welchem der Verfahren weniger Propofol verworfen wird. Die Idee entstand, wie eigentlich immer, im kollegialen Austausch: Man steht am OP-Tisch und spricht mit anderen Kolleg*innen. Und dann reift die Idee, dass man vielleicht mit einem Verfahren den Propofol-Verwurf sparen könnte und, dass wir das untersuchen. Daraus entwickelt sich dann die Projektidee.“
Prof. Dr. Mark Coburn: „Unsere Forschung hat gezeigt, dass der Einsatz einer einzigen Spritzenpumpe für die Einleitung und Aufrechterhaltung der Narkose sparsamer ist: Der Propofolverwurf ist zwischen 30 und 50 Prozent reduziert. Und jetzt entstehen aus dieser Forschungsarbeit ganz viele Folgeprojekte. Wir schauen Schritt für Schritt, dass wir die Ergebnisse in der Praxis umsetzen. Bis es dann in der Klinik etabliert ist, braucht es natürlich noch seine Zeit.“
In einem anderen Projekt hat sich das Green Team mit dem Upcycling von Kartuschen für Atemkalk beschäftigt. Was steckt da genau hinter und wie sind sie auf die Idee gekommen, sich das anzuschauen?“
Prof. Mark Coburn: „Dabei handelt es sich um CO2-Absorber, die in jedem Atmungsgerät bei uns enthalten sind und Kohlendioxid aus der Ausatemluft der Patient*innen entfernen. Wir verbrauchen ungefähr fünf Tonnen von diesen Kartuschen pro Jahr und das ist zu klassifizierender Sondermüll, der speziell entsorgt werden muss. Diese Menge, die ja alleine am UKB anfällt, ist schon beachtlich. Daher stellte ich mir die Frage, ob wir diesen Sondermüll reduzieren können, um den `5-R` der Nachhaltigkeit gerechter zu werden. Wir haben dann einen Hersteller gefunden, der die Kartuschen zurücknimmt und ihnen einen neuen Nutzen zuführt. Für uns als Team war es dann aber wichtig, zu klären, ob dies dann wirklich ein Benefit in Bezug auf die Nachhaltigkeit ist. Anschließend haben wir diese auch aufwändige Aufbereitung der Kartuschen mit der Verbrennung im Rahmen eines Life Cycle Assessments verglichen.“
Würden Sie sagen, dass Sie auf solche Themen im Berufsalltag schneller aufmerksam werden, seitdem es das Green Team gibt und Sie Teil davon sind?
Prof. Dr. Mark Coburn: „Unbedingt. Dass wir über das Team sprechen und unsere Forschungsergebnisse publizieren, das erhöht auch das Bewusstsein allgemein bei jungen und auch älteren Kolleg*innen. Und ich merke es auch bei Bewerber*innen, dass ihnen das Green Team gut gefällt und dass wir uns mit dem Thema Nachhaltigkeit so beschäftigen.“
Dr. Florian Windler: „Ich beobachte auch, dass die Aufmerksamkeit für solche Themen größer wird. Und wenn die Arbeit unseres Green Teams zu solchen Themen eben auch durch eine Publikation Früchte trägt, dann geht die Aufmerksamkeit sogar über das UKB hinaus: Das registrieren dann auch andere Kliniken – national und international haben wir schon Rückmeldungen zu unserer Forschung bekommen. Manche Klinken wollen sogar weiterführend an unseren Themen forschen und das ist eine schöne Wertschätzung für unsere Arbeit hier.“
„Sie haben ja mit dem Green Team auch zu der Reduktion von Emissionen aus Narkosegasen geforscht. Wie ist es zu diesem Forschungsprojekt gekommen?“
Prof. Dr. Mark Coburn: „Es ist so, dass die volatilen Anästhetika ein großer Bestandteil der Vollnarkose sind. Und es gibt – je nachdem welches man nutzt – große Unterschiede, was ihren Effekt auf die Erderwärmung angeht. Unser erster Schritt in diesem Forschungsprojekt war, dass wir das Medikament mit dem höchsten Effekt, das Desfluran, aus der Nutzung rausnehmen, weil es Alternativen mit geringerer Auswirkung gibt, die für die Patient*innen-Versorgung keinen Nachteil haben. Mir waren die Unterschiede bereits bekannt, aber das Green Team hat diese nochmal bestätigt und so wurde der Wechsel von einem auf das andere volatile Anästhetikum dann auch in der Praxis schnell angenommen. Das sind low-hanging fruits: Mit wenig Aufwand sparen wir jetzt drei- bis vierhundert Tonnen CO2 pro Jahr ein – ohne, dass es eben medizinisch oder anderweitig ein Nachteil gibt.“
Was planen Sie für die Zukunft mit dem Green Team am KAI?“
Prof. Dr. Mark Coburn: „Also mir ist es einfach wichtig, dass wir am UKB in diesen Bereich weiter forschen. Diese Forschung zu Nachhaltigkeit haben wir jetzt etabliert und wir wollen auch in Zukunft immer wieder neue Impulse schaffen. Denn gerade in der Nachhaltigkeit gibt es noch ganz, ganz viele offene Fragen. Es ist wirklich eine Freude zu sehen, dass unsere Arbeit im Green Team Gestalt annimmt und sich entwickelt.
Sind schon weitere Projekte in Planung?
Dr. Florian Windler: „Fortführend zu unserem Projekt zum reduzierten Propofol-Verwurf planen wir jetzt zum Beispiel, die Analyse auszuweiten. Bisher haben wir ausschließlich Daten der ambulanten Chirurgie genutzt und uns nur auf ein-prozentiges Propofol beschränkt. Jetzt stellt sich die Frage, wie unsere Ergebnisse bei anderen Konzentrationen aussehen und welche Einfluss die Erfahrung des Anästhesie-Personals hat. Können wir am Schluss das Bild bestätigen, dass es auch im größeren klinischen Setting so ist und damit auch die Nachhaltigkeit der Methode festigen. Das geht jetzt also in die nächste Runde. Wir haben eine Anfrage aus Sydney bekommen, die unsere Ergebnisse in einer Modellrechnung mit anderen Infusionsverfahren vergleichen wollen. Und das sind jetzt zwei beispielhafte Projekte, die sich aus unserem ergeben.“
Prof. Dr. Mark Coburn: „Man merkt hier und auch bei vielen weiteren Fragestellungen, dass an einem Ergebnis noch weitere Aspekte zu betrachten sind – und sich also immer mehr Fragen ergeben.“
Mehr Informationen zum Green Team des KAI finden Sie hier: https://www.ukbonn.de/anaesthesiologie/anaesthesie/nachhaltigkeit/.
Bild links: Green Team-Mitglied Dr. Florian Windler im OP
Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn / Anna Bolten