Impressum  |  Datenschutzerklärung  |  Barrierefreiheit
Dunkel Hell

Dr. Jonas Dohmen über das nun zwei Jahre laufende Nachhaltigkeitsprojekt der Chirurgie

Die Klinik der Chirurgie unter Leitung von Prof. Jörg Kalff recycelt seit September 2022 bestimmte Einweggeräte aus dem OP, um die Müllproduktion dort zu reduzieren. Etwa 80 Prozent des Materials kann so stofflich wiederverwertet werden. Die Bilanz nach nun über zwei Jahren: 805 Kilogramm Material konnten recycelt und damit 1.800 Kilogramm CO2-Äquivalente eingespart werden. Noch hat das Projekt unter Leitung von Dr. Jonas Dohmen, Facharzt für Viszeralchirurgie, und seinem Team Alleinstellungsmerkmal am UKB – nun hat es den Innovationspreis der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) erhalten. Dr. Dohmen erzählt im Interview mit Anna Bolten für UKBmittendrin, wie es zu dem Nachhaltigkeitsprojekt gekommen ist, welche Motivation dahintersteckt und warum es als Appell an die Politik dienen soll.

UKBmittendrin: Warum ist Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen grundsätzlich so wichtig?

Dr. Jonas Dohmen: Der deutsche Gesundheitssektor ist für über sechs Prozent der deutschlandweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Das entspricht ungefähr 68 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr, was mehr Emissionen sind als die der deutschen Stahlindustrie. Mitverantwortlich hierfür ist die große Menge an Müll, die in Krankenhäusern erzeugt wird. Dadurch sind Kliniken der fünftgrößte Müllproduzent Deutschlands. Über 30 Prozent der Krankenhausabfälle stammen aus dem OP-Bereich: Pro Eingriff kann man von rund zwölf Kilogramm Müll ausgehen, bei orthopädischen OPs sind es manchmal noch ein bisschen mehr. Oder anders gesagt: Eine Routineoperation produziert mehr Abfall als eine vierköpfige Familie in einer gesamten Woche. Diese Zahlen zeigen schon, dass auch Krankenhäuser dafür verantwortlich sind, sich um mehr Nachhaltigkeit zu bemühen. Noch wird die Arbeit hier aber politisch nicht so stark reglementiert.

UKBmittendrin: Mit dem Thema Müll im OP haben Sie sich jetzt näher beschäftigt, warum ist das Thema aus Ihrer Sicht so wichtig?

Dr. Jonas Dohmen: Weil bisher entsprechend gesetzlicher Regelung ein wesentlicher Anteil des Mülls aus Krankenhäusern verbrannt wird – obwohl er potenziell recycelt werden könnte. Hierdurch werden einerseits hohe CO2-Emissionen erzeugt und andererseits gehen wertvolle Rohstoffe verloren. In deutschen Privathaushalten ist es ja schon längst üblich zu recyceln, im Krankenhaus wird das noch fast gar nicht gemacht. Wir, in der Chirurgie, möchten mit unserem Projekt zu mehr Nachhaltigkeit beitragen, indem wir eben einen Teil von diesem Müll aus dem OP recyceln.

UKBmittendrin: Wie kamen Sie auf die Idee?

Dr. Jonas Dohmen: Unser Klinikdirektor Prof. Jörg Kalff macht sich schon länger Gedanken über die Zukunft des Operationssaals. Neben technischen Innovationen, die wir im BOSTER (Bonn Surgical Technology Center) entwickeln und begleiten, ist aus unserer Sicht ein ganzheitlicher Blick, der zum Beispiel auch Ethik und Nachhaltigkeit berücksichtigt, erforderlich. So sind wir uns des Problems des Mülls schon vor längerer Zeit bewusst geworden. Die vielen vollen Müllsäcke nach jeder unserer Operationen sind unübersehbar und wir haben mehrfach am OP-Tisch gestanden und über mögliche Lösungen für diese Herausforderung gesprochen. Als Ärzt*innen hatten wir aber natürlich wenig Ahnung von der Abfallwirtschaft des Klinikums. Da wir fachfremd waren, hat es Monate gedauert, bis wir so richtig in das Thema eingestiegen sind.

Bildunterschrift: Dr. Jonas Dohmen zeigt einen Schrank voller Einweggeräte, die für Operationen verwendet und im Anschluss verbrannt werden.
Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn / Anna Bolten

UKBmittendrin: Wie sind Sie das Projekt dann angegangen?

Dr. Jonas Dohmen: Wir haben uns Hilfedazu geholt: Zunächst einmal sind wir in engem Kontakt mit Michael Schmitz, der das Entsorgungsmanagement am UKB leitet. Er kennt sich mit dem Abfallsystem sehr gut aus. Außerdem arbeiten wir mit dem Technologie-Unternehmen Resourcify GmbH zusammen, das die Abfallströme am UKB digitalisiert hat. Die Mitarbeitenden hatten Ideen für ein Konzept, mit dem das Recycling von OP-Geräten realisierbar ist und hatten außerdem die passenden Kontakte. Wir haben auch mit der lokalen Umweltbehörde kommuniziert, denn diese musste das Projekt erstmal freigeben: Sie erlaubte uns, dass bestimmte Einweg-Gerätschaften nach erfolgter Sterilisation am UKB mit einem neuen Abfallschlüssel zu einem Recyclinghof transportiert werden dürfen. Die Sterilisation stellte sich aber auch als weitere Hürde heraus: Unsere Einweggeräte dürfen nämlich nicht mit den Mehrweggeräten zusammen im Zentralsteri (ZAEMP) am UKB sterilisiert werden. In der Medizinischen Mikrobiologie am UKB waren aber noch Kapazitäten für unsere separate Sterilisation vorhanden. Die Mikrobiologie unterstützt uns also auch sehr bei unserem Projekt.

UKBmittendrin: Was fällt alles an Müll im OP an?

Dr. Jonas Dohmen: Bei Operationen fällt schon sehr viel Müll an, bevor Patient*innen überhaupt im Saal sind. Wenn zum Beispiel Instrumente geöffnet werden, haben wir ein großes Volumen an Umverpackungen. Da bei diesem Müll kein potentielles Infektionsrisiko besteht, weil die Patient*innen ja nicht mit ihm in Kontakt kommen, entsorgen wir diesen am UKB üblicherweise wie in Privathaushalten über den „grünen Punkt“. Ich erlebe aber immer wieder, dass das längst nicht in allen Krankenhäusern so gehandhabt wird. Und dann gibt es noch den Müll, der beim Eingriff selbst anfällt. Dazu zählen Kunststoffe wie Handschuhe, Kittel oder zum Beispiel OP-Tücher. Diese können mit Blut und Sekreten kontaminiert sein, weshalb sie thermisch verwertet, also verbrannt, werden. Scheren und Pinzetten sind Mehrweginstrumente, die werden gesäubert, sterilisiert und so aufbereitet, dass sie mehrfach benutzt werden können. Und dann gibt es noch Einweggeräte.

Bildunterschrift: Während Operationen werden Einweggeräte wie dieser Stapler benötigt. Die operationstechnische Assistentin greift gerade nach Magazin und Handstück des Klammernahtgeräts für den laufenden Eingriff.
Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn /Anna Bolten

UKBmittendrin: Und diese Einweggeräte recyceln Sie?

Dr. Jonas Dohmen: Genau, aber noch nicht alle. In unserem Projekt kümmern wir uns vor allem um Einweggeräte mit Metallanteil. Eigentlich müssen diese laut Richtlinie auch thermisch verwertet werden, aber am UKB recyceln wir diese potentiell wertvollen Materialien jetzt. Dabei unterscheiden wir hauptsächlich zwei Klassen: Zunächst einmal sind da die elektrischen Versiegelungsinstrumente mit Kabel und Platinen, die an Strom angeschlossen werden. Solche Einweggeräte werden bei uns bei vielen Eingriffen genutzt. Sie kosten 200 bis 400 Euro pro Gerät, aber sind als Einweginstrument konzipiert. Die zweite Klasse sind die sogenannten Klammernahtgeräte oder „Stapler“, mit denen Wunden oder Hohlorgane mit Metallklammern verschlossen oder zum Beispiel Verbindungen von zwei Darmstücken, sogenannte Anastomosen, hergestellt werden. Sie besitzen ein Handstück zum Auslösen und vorne ein Magazin, das auf den Handgriff gesetzt wird. Bei einer Darm-OP sind häufig drei bis vier Magazine nötig, bei einer Lungen-OP können es auch mal sechs bis acht werden. Neben diesen beiden Klassen an Einweggeräten fallen auch metallhaltige Hauttacker an – die man nutzt, wenn Haut nicht genäht wird – oder Gefäßclips. Diese ganzen Geräte machen einen großen Teil des Gewichts unseres Abfalls aus – und werden im Rahmen unseres Nachhaltigkeitsprojekts recycelt.

Bildunterschrift: Eine Tonne voller Einweggeräte, die am UKB hier zum Recyceln gesammelt werden.
Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn / Anna Bolten

UKBmittendrin: Gibt es dabei keine Einschränkungen bezüglich der Hygiene?

Dr. Jonas Dohmen: Doch: Einweggeräte aus infektiösen OPs, bei denen Patient*innen zum Beispiel mit Krankenhauskeimen oder Hepatitis infiziert sind, werden nicht recycelt. Ansonsten geht das aber bei all unseren Operationen. Die Einweggeräte sind dann mit Sekreten kontaminiert, aber eben nicht infektiös und werden dann ja auch noch sterilisiert. Generell braucht man heute aber kaum Sorge vor Infektionen durch medizinische Einweggeräte beim Recycling haben, weil der Recyclingprozess im Entsorgungsunternehmen sehr automatisiert abläuft. Menschen kommen mit den Geräten also kaum noch in Berührung.

UKBmittendrin: Apropos Recyclingprozess – wie ist denn genau der Weg eines geeigneten Einweggeräts vom OP bis zum Recyclinghof?

Dr. Jonas Dohmen: Nach Ende der OP werden die beschriebenen Einweggeräte separat vom restlichen Müll gesammelt, wischdesinfiziert und dann in Extra-Tonnen gelegt. Die Hauptarbeit bei der neuen Entsorgung haben also die OP-Pflegekräfte, die sich um das Sammeln und Säubern kümmern. Natürlich ist das ein Mehraufwand bei den schon zahlreichen Aufgaben der Pflegekräfte. Die Rückmeldung war jedoch, dass sie das Müllproblem schon längst erkannt haben und ebenfalls sehr an einer Lösung dafür interessiert sind. Für das gesonderte Sammeln und Säubern benötigen sie dann meist nur wenige Minuten. Die Tonnen mit den Geräten kommen danach zur Medizinischen Mikrobiologie des UKB. Dort werden die Instrumente für 30 Minuten bei über 120 Grad Celsius dampfsterilisiert, sodass sie in Rücksprache mit der Umweltbehörde als Elektroschrott klassifiziert und in Gitterboxen zum Entsorgungshof transportiert werden dürfen. Der Recyclinghof bezahlt uns dann das Material nach Gewicht, zerkleinert es und verkauft es als Granulat weiter. Was genau mit unserem Granulat passiert, wissen wir leider nicht, weil unsere Menge noch zu klein ist, um gesondert behandelt zu werden, und damit nicht verfolgt werden kann.

Bilderunterschrift: Die Pflegkräfte im OP kümmern sich nach den Eingriffen um das Säubern und richtige Entsorgen der Einweggeräte: In die grüne Tonne kommen die Geräte, die recycelt werden.

Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn / Anna Bolten

UKBmittendrin: Was zeigt die erste Bilanz des Recyclings nach über zwei Jahren Laufzeit?

Dr. Jonas Dohmen: Nach den ersten sechs Monaten hatten wir fast 240 Kilogramm Material mit einem Metallanteil von bis zu 50 Prozent des Gesamtgewichts recycelt. Dazu kamen dann noch 30 Prozent recycelbare Kunststoffe, sodass wir eine Recyclingquote von 80 Prozent erreichen konnten. Von September 2022 bis Ende September 2024 haben wir ganze 805 Kilogramm Material recycelt und so über 1.800 Kilogramm CO2-Äquivalente eingespart. Das entspricht im Vergleich den CO2-Emissionen, die ein Auto auf einer Strecke von rund 11.000 Kilometern ausstößt. Wir konnten also zeigen, dass durch das Recycling die Verbrennung vermieden und stattdessen CO2-Äquivalente eingespart werden können.

UKBmittendrin: Rentiert sich das Recycling finanziell?

Dr. Jonas Dohmen: Aktuell rentiert es sich leider nicht, sondern ist teurer als die Verbrennung. Nach den ersten sechs Monaten war es zum Beispiel nahezu viermal so teuer wie die thermische Verwertung. Pro Kilo kostet das Recycling nach Abzug der Einnahmen etwa 1,90 Euro. Das liegt vor allem am Transport des Materials vom UKB zum aktuellen Entsorgungshof in Espelkamp in Ostwestfalen. Näher am UKB gelegene Recyclinghöfe haben dem Projekt aus Sorge vor rechtlichen Komplikationen nicht zugestimmt, obwohl es mit den Behörden ja abgesprochen ist. Günstiger würde der Transport natürlich werden, wenn die Geräte lokal recycelt werden könnten und es mehr Material auch aus anderen Kliniken gäbe. Ob das Recycling aber irgendwann einmal kostengünstiger wird als die Verbrennung, kann ich derzeit nicht sicher sagen.

UKBmittendrin: Wie finanzieren Sie diese Kosten aktuell?

Dr. Jonas Dohmen: Wir haben das Projekt 2022 bei der internen Nachhaltigkeitskommission der Universität Bonn eingereicht und damals 25.000 Euro Förderung als unser Startkapital erhalten. Nach über zwei Jahren sind jetzt fast zwei Drittel davon aufgebraucht. Ich schätze, dass es jetzt nochmal etwa ein Jahr reichen wird. Was danach und langfristig passiert, ist bisher nicht klar. Aktuell ist es erstmal ein endliches Projekt, obwohl das Feedback auch vom UKB-Entsorgungsmanagement sehr positiv ist.

UKBmittendrin: Was wünschen Sie sich für die Zukunft ihres Projektes am UKB?

Dr. Jonas Dohmen: Es wäre auf jeden Fall schön, wenn sich auch andere Kliniken am UKB daran beteiligen würden. Bisher ist die chirurgische Klinik nämlich die einzige und damit wollen wir ein Vorbild für die anderen sein: Die Menge an recycelbarem Material ließe sich mit allen Kliniken zusammen etwa verzehnfachen. Dann könnte man in Zukunft auch gemeinsam das Material sammeln und so an Transportkosten einsparen. Aber natürlich müssen die anderen Kliniken dann auch unterstützt werden und brauchen einen Ort, wo die Geräte sterilisiert werden. In der Medizinischen Mikrobiologie des UKB sind die Kapazitäten natürlich auch nicht endlos.

Bildunterschrift: Dr. Jonas Dohmen würde sich wünschen, dass sich mehr Kliniken am Recycling von Einweggeräten wie diesen beteiligen würden.

Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn / Anna Bolten

UKBmittendrin: Wie sieht es mit Kliniken außerhalb des UKB aus?

Dr. Jonas Dohmen: Gerade für kleine Kliniken ist das Recyclingkonzept schwer umzusetzen. Sie haben selten die Möglichkeit auf dem eigenen Gelände Material zu sterilisieren. Dafür müssten die gesetzlichen Bedingungen verändert werden – dahingehend, dass die Geräte auch außerhalb, zum Beispiel bei den Recyclinghöfen, sterilisiert werden dürfen. Über das UKB hinaus arbeitet Resourcify bereits mit Unternehmen wie Johnson und Johnson zusammen, die inzwischen an vielen Kliniken ihre Produkte recyceln lassen. Das machen sie aber eben nur mit ihren eigenen Geräten und es wird nicht – wie bei uns – über alle Hersteller hinweg recycelt. Das sollte natürlich nicht die Zukunft sein, weil die OP-Pflege dann irgendwann zehn verschiedene Tonnen für jeden Hersteller einzeln füllen müsste. Das Recycling sollte also herstellerübergreifend organisiert sein, wie wir es beim Hausmüll mit dem grünen Punkt kennen.

UKBmittendrin: Was muss sich noch ändern, damit das Recycling großflächig herstellerübergreifend möglich wird?

Dr. Jonas Dohmen: Dafür ist früher oder später der Gesetzgeber gefragt, die derzeitigen Vorschriften zu überdenken – sowohl, was Sterilisation als auch was die Kosten und weitere Regulierungen angeht. Dann könnte man das riesige Recyclingpotenzial vielleicht zukünftig vollständig ausnutzen. Mit unserem Projekt wollen wir daher auch an die Politik appellieren, damit die Restriktionen bezüglich der Recyclingoptionen im Krankenhaus im Sinne der Nachhaltigkeit überdacht werden. Und noch besser als Recycling wäre in Zukunft natürlich der vermehrte Einsatz von Mehrweg. Allein der Wechsel von Einmal- auf Mehrweginstrumente kann den medizinischen Abfall im OP um ungefähr 50 Prozent reduzieren. Der Trend der Hersteller geht aber leider Richtung Einweg, weil Mehrweg gerade auf dem großen Absatzmarkt USA keine Chance hat. Technisch möglich wäre es aber in vielen Fällen. Inzwischen bin ich auch in der CA PeriVis, einer Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV), für das Thema Nachhaltigkeit zuständig. Unser Ziel ist es, ein Netzwerk mit Chirurg*innen aus ganz Deutschland zu etablieren. Gemeinsam können wir auf übergeordneter Ebene positiven Einfluss auf die Medizintechnikunternehmen und die Politik nehmen, um die Chirurgie in Zukunft nachhaltiger zu gestalten.

UKBmittendrin: Dann bleiben wir gespannt auf die weiteren Entwicklungen. Vielen Dank für das Gespräch!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert